Über den Krieg

 

Tränen des Vaterlandes

 

Wir sind doch nunmehr ganz, ja mehr denn ganz verheeret!

Der frechen Völker Schar, die rasende Posaun,

Das vom Blut fette Schwert, die donnernde Karthaun

Hat aller Schweiß und Fleiß und Vorrat aufgezehret.

 

Die Türme stehn in Glut, die Kirch ist umgekehret,

Das Rathaus liegt im Graus, die Starken sind zerhaun,

Die Jungfraun sind geschänd't, und wo wir hin nur schaun,

Ist Feuer, Pest und Tod, der Herz und Geist durchfähret.

 

Hier durch die Schanz und Stadt rinnt allzeit frisches Blut;

Dreimal sind's schon sechs Jahr, als unsrer Ströme Flut,

Von Leichen fast verstopft, sich langsam fortgedrungen;

 

Doch schweig ich noch von dem, was ärger als der Tod,

Was grimmer denn die Pest und Glut und Hungersnot:

Daß auch der Seelen Schatz so vielen abgezwungen.        

                                                                                         Andreas Gryphius


 

 

 

Der Spaziergang (Auszug)

 

Mutter Cybele spannt an des Wagens Deichsel die Löwen,

 

In das gastliche Tor zieht sie als Bürgerin ein.

 

Heilige Steine! Aus euch ergossen sich Pflanzer der Menschheit,

 

Fernen Inseln des Meers sandtet ihr Sitten und Kunst,

 

Weise sprachen das Recht an diesen geselligen Toren,

 

Helden stürzten zum Kampf für die Penaten heraus.

 

Auf den Mauern erschienen, den Säugling im Arme, die Mütter,

 

Blickten dem Heerzug nach, bis ihn die Ferne verschlang.

 

Betend stürzten sie dann vor der Götter Altären sich nieder,

 

Flehten um Ruhm und Sieg, flehten um Rückkehr für euch,

 

Ehre ward euch und Sieg, doch der Ruhm nur kehrte zurücke,

 

Eurer Taten Verdienst meldet der rührende Stein:

 

»Wanderer, kommst du nach Sparta, verkündige dorten, du habest

 

Uns hier liegen gesehn, wie das Gesetz es befahl.«

 

Ruhet sanft, ihr Geliebten! Von eurem Blute begossen,

 

Grünet der Ölbaum, es keimt lustig die köstliche Saat.

                                                                                          Friedrich von Schiller


 

 

 

Sengen, brennen, schießen, stechen,

Schädel spalten, Rippen brechen,

spionieren, requirieren,

patrouillieren, exerzieren,

fluchen, bluten, hungern, frieren..

So lebt der edle Kriegerstand,

die Flinte in der linken Hand,

das Messer in der rechten Hand

mit Gott, mit Gott, mit Gott,

mit Gott für König und Vaterland.

 

Aus dem Bett von Lehm und Jauche

zur Attacke auf dem Bauche!

Trommelfeuer ‑ Handgranaten

Wunden ‑ Leichen ‑ Heldentaten

bravo, tapfere Soldaten!

So lebt der edle Kriegerstand,

das Eisenkreuz am Preußenband,

die Tapferkeit am Bayernband,

mit Gott, mit Gott, mit Gott,

mit Gott für König und Vaterland.

 

Stillgestanden! Hoch die Beine!

Augen gradeaus, ihr Schweine!

Visitiert und schlecht befunden.

Keinen Urlaub. Angebunden.

Strafdienst extra sieben Stunden.

So lebt der edle Kriegerstand.

Jawohl, Herr Oberleutenant!

Und zu Befehl Herr Leutenant!

Mit Gott, mit Gott, mit Gott,

mit Gott für König und Vaterland.

 

Vorwärts mit Tabak und Kümmel!

Bajonette, Schlachtgetümmel.

Vorwärts! Sterben oder Siegen

Deutscher kennt kein Unterliegen.

Knochen splittern, Fetzen fliegen.

So lebt der edle Kriegerstand.

Der Schweiß tropft in den Grabenrand,

das Blut tropft in den Straßenrand,

mit Gott, mit Gott, mit Gott,

mit Gott für König und Vaterland.

 

Angeschossen ‑ hochgeschmissen

Bauch und Därme aufgerissen.

Rote Häuser ‑ blauer Äther

Teufel! Alle heiligen Väter! ...

Mutter! Mutter!! Sanitäter!!!

 

So stirbt der edle Kriegerstand,

in Stiefel, Maul und Ohren Sand

und auf das Grab drei Schippen Sand -

mit Gott, mit Gott, mit Gott,

mit Gott für König und Vaterland.

                                                            Erich Mühsam

 

 

 


Sist Krieg! 's ist Krieg! 0 Gottes Engel wehre,

Und rede du darein!

's ist leider Krieg ‑ und ich begehre

Nicht schuld daran zu sein!

 

Was sollt ich machen, wenn im Schlaf mit Grämen

Und blutig, bleich und blaß,

Die Geister der Erschlagnen zu mir kämen,

Und vor mir weinten, was?

 

Wenn wackre Männer, die sich Ehre suchten,

Verstümmelt und halb tot

Im Staub sich vor mir wälzten, und mir fluchten

In ihrer Todesnot?

 

Wenn tausend tausend Väter, Mütter, Bräute,

So glücklich vor dein Krieg,

Nun alle elend, alle arme Leute,

Wehklagten über mich?

 

Wenn Hunger, böse Seuch' und ihre Nöten

Freund, Freund und Feind ins Grab

Versammelten, und mir zu Ehren krähten

Von einer Leich herab?

 

Was hüll mir Kron' und Land und Gold und Ehre?

Die könnten mich nicht freun!

's ist leider Krieg ‑ und ich begehre

Nicht schuld daran zu sein!

                                                 Matthias Claudius

 

 

 

 

Es ist leicht für einen Staatsmann, sei es in dem Kabinette oder in der Kammer, mit dem populären Winde in die Kriegstrompete zu stoßen und sich dabei an seinem Kaminfeuer zu wärmen oder von der Tribüne donnernde Reden zu halten, und es dem Musketier, der auf dem Schnee verblutet, zu überlassen, ob sein System Sieg und Ruhm erwirbt oder nicht. Es ist nichts leichter als das, aber wehe dem Staatsmann, der sich in dieser Zeit nicht nach einem Grunde zum Kriege umsieht, der auch nach dem Kriege noch stichhaltig ist.

 

                                                                                                                    Otto von Bismarck

 

 

 


Wer ein modernes Schlachtfeld gesehen und zu innerst erlebt hat, wer auch nur die Fotografien dieser internationalen Greuel kennt, Fotografien, die das böse Gewissen der Offiziere und solcher, die es werden wollen, sorgfältig vor der Öffentlichkeit versteckt, wer die Fleischpakete in den Massengräbern und die eklen Stümpfe der zerhackten Überlebenden ‑ welch ein Leben! ‑ kennt: wer davor nicht zurückschrickt, wer das nicht mit allen erdenklichen Mitteln verhindern will, wer hier nicht der jungen Generation ein Fanal aufrichtet ‑: der ist kein Mensch, der ist ein Patriot.

 

                                                                                                                         Kurt Tucholsky

 

 

 


Wenn die Oberen vom Frieden reden

Weiß das gemeine Volk

Daß es Krieg gibt.

 

Wenn die Oberen den Krieg verfluchen

Sind die Gestellungsbefehle schon

ausgeschrieben.          

                                Bertolt Brecht

 

 

 

 

Aufgestanden ist er, welcher lange schlief,

Aufgestanden unten aus Gewölben tief.

In der Dämmrung steht er, groß und unerkannt,

Und den Mond zerdrückt er in der schwarzen Hand.

 

In den Abendlärm der Städte fällt es weit,

Frost und Schatten einer fremden Dunkelheit,

Und der Märkte runder Wirbel stockt zu Eis.

Es wird still. Sie sehn sich um. Und keiner weiß.

 

In den Gassen faßt es ihre Schulter leicht.

Eine Frage. Keine Antwort. Ein Gesicht erbleicht.

In der Ferne wimmert ein Geläute dünn

Und die Bärte zittern um ihr spitzes Kinn.

 

Auf den Bergen hebt er schon zu tanzen an

Und er schreit: Ihr Krieger alle, auf und an.

Und es schallet, wenn das schwarze Haupt er schwenkt,

Drum von tausend Schädeln laute Kette hängt.

 

Einem Turm gleich tritt er aus die letzte Glut,

Wo der Tag flieht, sind die Ströme schon voll Blut.

Zahllos sind die Leichen schon im Schilf gestreckt,

Von des Todes starken Vögeln weiß bedeckt.

 

Über runder Mauern blauem Flammenschwall

Steht er, über schwarzer Gassen Waffenschall.

Über Toren, wo die Wächter liegen quer,

Über Brücken, die von Bergen Toter schwer.

 

In die Nacht er jagt das Feuer querfeldein

Einen roten Hund mit wilder Mäuler Schrein.

Aus dem Dunkel springt der Nächte schwarze Welt,

Von Vulkanen furchtbar ist ihr Rand erhellt.

 

Und mit tausend roten Zipfelmützen weit

Sind die finstren Ebnen flackend überstreut,

Und was unten auf den Straßen wimmelt hin und her,

Fegt er in die Feuerhaufen, daß die Flamme brenne mehr.

 

Und die Flammen fressen brennend Wald um Wald,

Gelbe Fledermäuse zackig in das Laub gekrallt.

Seine Stange haut er wie ein Köhlerknecht

In die Bäume, daß das Feuer brause recht.

Eine große Stadt versank in gelbem Rauch,

Warf sich lautlos in des Abgrunds Bauch.

Aber riesig über glühnden Trümmern steht

Der in wilde Himmel dreimal seine Fackel dreht.

 

Über sturmzerfetzter Wolken Widerschein,

In des toten Dunkels kalten Wüstenein,

Daß er mit dem Brande weit die Nacht verdorr,

Pech und Feuer träufet unten auf Gomorrh.

                                                                         Georg Heym