Typisch lübsch (75)
Die Anhänger Luzifers können nur zerstören -
deshalb verschandeln sie auch den Markt!
Kreuze voller Rätsel
Noch einmal eine Kolumne über
den Markt? Warum nicht. Die Gesamtposse, die da abläuft als ein "Draußen
vor der Tür" mit einer Bauverwaltung, die aufs Kreuz gelegt worden ist und
einem Architekt-Unternehmer, der schon ‑ wie ich hörte ‑ vor
Jahren als Frühvollendeter in der Overbeck-Gesellschaft vorgestellt wurde und
der jetzt mit einem angeblich überarbeiteten Modell seiner "Klamottenburg"
‑ ich bleibe bei dieser Bezeichnung ‑ bei der Bauverwaltung am
Mühlendamm aufkreuzte, dessen von den Restbürgern nicht ahnbare Masse um einige
Zentimeter abgesenkt worden war ‑ ohne jeden ästhetischen Abstrich wie es
scheint. Doch hier ist kein Schiff mehr zu versenken ‑ im Gegenteil.
Es ist einfach niemand mehr
da, der von Bord gehen kann - kein Bismarck, kein Adenauer, kein Brandt.
Wir haben zwar
Nobelpreisträger genug in unseren Mauern, aber was uns fehlt, ist die
politische Kraft, die sich mal im öffentlichen Raum, auf dem Markt,
manifestierte. Wenn es da nur noch Betäubungsmittel süß oder sauer aller Arten
zu kaufen gibt, heißt die Diagnose: Ende von Stadt und Re-Verländlichung.
Überzeugungen sind vom Kapital, das agiert und nur seine Verkleidung gewechselt
hat, pulverisiert worden - auch Adrenalin wird man bald in der Apotheke kaufen
können ‑ zum Lecken versteht sich - als Antrieb.
Doch wenn sie vorher schon
wieder den Arzt fragen, ist es zu spät. Der Arzt ist in uns, der will aber
nicht mehr, denn er ist überrumpelt worden und seine Diagnose zählt nicht mehr.
Alle, die vom Weltkulturerbe
betäubt noch wach sind, sollten gemeinsam eine minutiöse Chronik der Ereignisse
zusammentragen, denn die ist noch nicht ganz bekannt, damit der
Handlungsspielraum der handelnden Personen und die Charaktermasken der Beteiligten
deutlich werden, wo doch das Theater in der Beckergrube so schön restauriert worden
ist.
Denn niemand kann sich
vorstellen, was da für eine Konkurrenz zum Rathaus gebaut wird in Masse, Form
und Abwertung der Umgebung. Kleinteiligkeit war nun einmal beschlossen,
Großteiligkeit scheint sich durchzusetzen und die Eigentümlichkeit des Ortes
scheint sich schlafen gelegt zu haben, weil sie die Verpackungsbeilagen nicht
gelesen hat.
Quelle: Jonas Geist in der "Lübecker Stadtzeitung" vom
24.7.2001
Anmerkung: Jonas Geist war bis zu seiner Pensionierung / Emeritierung
Professor für Geschichte, Theorie und Kritik der Architektur an der Hochschule
der Künste (HdK) in Berlin. Er gilt in der Fachwelt der Architekturforschung
und -kritik als eine unbestrittene Koryphäe. Er ist mit Lübeck - seiner
Heimatstadt - eng verbunden und lebt zeitweilig in einem denkmalgeschützten
Haus im Domviertel.
Die "Klamottenburg" ist - gegen jede Vernunft und erhebliche
Widerstände - gebaut worden. Der "Frühvollendete" hat sich weniger als
"Geschmackspapst" und dafür mehr als "radikaler Scharlatan"
zu erkennen gegeben. Das Urteil der Nachwelt bleibt abzuwarten. Es steht zu
befürchten, daß dieser Akt städtebaulichen Terrorismus' in einigen Jahrzehnten
auf die gleiche Stufe gestellt wird, wie der - allerdings und Gott sei Dank
verhinderte - 1854 von maßgeblichen Fischköppen empfohlene Abriß des
Holstentors.
Und wieder einmal bewahrheitete sich
In Venedig regierte der Doge,
in Lübeck ist es die Loge.
Heraus kommt dabei nur Mist!
Wer schlau ist, hat sich längst verpißt.