Thomas Manns Kehrtwende
Selbst ein Weltbürger und Ästhet,
bei dem man solches nicht vermuten kann, war einmal Nationalist und Chauvinist:
der Nobelpreisträger von 1929 Thomas Mann, geboren 1875 zu Lübeck, gestorben
1955 als USA‑Bürger. Der weltbekannte Schriftsteller, Dr. h. c.,
verheiratet mit einer Tochter des jüdischen Geheimrats Pringsheim, verließ 1933
als Emigrant das Dritte Reich und wurde dann ausgebürgert. Er entwickelte sich
zu einem der schärfsten Gegner Hitlers und zugleich einem unversöhnlichen
Kritiker am deutschen Volke ‑ wie später sein Sohn Golo Mann. Als ein
ganz anderer präsentiert er sich allerdings in seinen Schriften "Gedanken
im Kriege" (1914), "Friedrich und die große Koalition" (1915) und
"Gedanken eines Unpolitischen" (1918), in denen er schon jene Ideen
ausbreitet, welche die nationale und nationalsozialistische Opposition gegen
die Weimarer Republik stark gemacht haben. Deutlich ist der Einfluß Fichtes und
Lagardes spürbar. Er beruft sich dabei auf Heinrich von Kleist, der, "als
Deutschland in Not war, die Donnerworte fand von der Gemeinschaft, die nur mit
Blut, vor dem die Sonne verdunkelt, zu Grabe gebracht werden solle. Es ist die
Entdeckung dessen, was deutsch zu sein heißt und sich vom Westen
unterscheidet". Mann lehnt die Politik für die Deutschen ab, da sie
Demokratie bedeute, ein westliches Grundübel, für das Jean Jaques Rousseau
verantwortlich zu machen sei. Dieses fremde Gift passe nicht zu uns, da "der
viel verschriene Obrigkeitsstaat die dem deutschen Volke angemessene,
zukömmliche und von ihm im Grunde gewollte Staatsform ist und bleibt". Der
Dichter verherrlicht dann den Krieg und erhofft von ihm eine Umwälzung des
Bestehenden: "Gräßliche Welt, die nun nicht mehr ist oder doch nicht mehr
sein wird, wenn das große Wetter vorüberzog!" In Vorwegnahme Goebbelscher
Gedanken von 1944/45 vergleicht Mann das Deutschland von 1914 mit Friedrichs
des Großen Kampf gegen die große Koalition. Aber Mann und Goebbels irrten
beide. In einem erst 1965 bekannt gewordenen Brief vom 22. 8. 1914 schreibt
Thomas Mann über "die großen Siege der deutschen Truppen in Lothringen ...
Es ist der deutsche Geist, die deutsche Sprache und Weltanschauung, die
deutsche Kultur und Zucht, was dort siegt, und so braucht auch meinesgleichen
sich jetzt nicht zu verachten ... Es geht also gut, und man kann kaum noch
denken (wenn man es je denken könnte), daß Deutschland verloren gehen könnte ...
" (Vgl. Der Spiegel« Nr. 49/1965.)
Quelle: "Bevor Hitler kam" von Dietrich Bronder, 2. Auflage.
Genf 1975, S. 90 f
Anmerkung: Was ein Glück für Thomas Mann, daß er nicht in heutigen Zeiten
in Lübeck als Angestellter im öffentlichen Dienst lebt. Denn dann würde er
nicht nur seinen Arbeitsplatz einbüßen, sondern vermutlich auch schwer bestraft
werden, wenn man es gestattet ist, die Analogie zu dem zu ziehen, was Michael
Bouteiller (damals SPD) und Bernd Saxe (SPD) mit Dieter Kern angestellt haben.
Dies gipfelte nämlich darin, daß ein Ziegenküttel zum SS-Totenkopf deklariert
und eine außerdienstliche tatsachen- und wertungsadäquate Äußerung gegenüber
dem größten Verbrechersyndikat der Welt (USA) zum Anlaß für die Kündigung eines
Arbeitsvertrages genommen wurde.