Günter Hartmann

 

Seinen letzten Schultag hat Günter Hartmann schon fest im Blick. Am 30. September wird er sich von seinen Schülern im Lübecker Johanneum verabschieden. Dann liegen 37 Jahre als Lehrer hinter ihm. 37‑mal Sommerferien, 37­-mal Schulanfang. Hunderte von Schülern hat er erlebt, die fleißigen, die schwierigen, die stillen und die rabiaten. Ein Blick zurück zeigt: Es gab gute und auch schlechte Tage.

 

Ausgepowert fühlt sich der 62­Jährige auch nach so vielen Jahren nicht. "Vielleicht ein bisschen müde", sagt er und lacht. "Aber das wird einem in anderen Berufen wohl auch nicht anders gehen, wenn man so lange gearbeitet hat." Er hat immer mit Freude unterrichtet, es hat ihm viel Spaß gemacht. "Ich erkläre gern, deshalb fühle ich mich sehr wohl an der Schule ‑ bis zum Schluss."‑


 

Studiert hat Hartmann in Tübingen, Freiburg, Wien und Edinburgh, Deutsch, Geschichte und Englisch. Seine erste Anstellung erhielt er 1962 am Gymnasium in Tübingen. Später wechselte er zum Johanneum, seine Frau zog es in den Norden. "Damals gab es zu wenig Lehrer, da konnte man sich noch frei bewerben", erzählt der Lübecker. Von 1970 bis 1975 unterrichtete er an der Deutschen Schule in Istanbul. Sämtliche Klassenstufen, von der 5. bis zum Abi‑Jahrgang, hat er als Lehrer vor sich gehabt.

 

Früher war er ein glühender Verfechter der Oberstufenreform. Wenn er heute Bilanz zieht, weiß er: "Vieles von dem, was den Lehrern die Kräfte raubt, liegt am System." Früher sei die Schule zu autoritär gewesen, nun sei sie zu liberal. Er selbst habe für mehr Liberalisierung und Demokratisierung an der Schule gekämpft. "Nur", sagt er, "woran keiner so recht gedacht hat, Liberalisierung und Demokratisierung geht eben nur, wenn jemand auch die Pflichten übernimmt. Und das können die Schüler nicht, das haben wir erst später gemerkt. "

 

Das fängt bei den Entschuldigungen an, die sich die Oberstufenschüler selbst schreiben dürfen und was viele auch hemmungslos ausnutzen. Und das hört damit auf, dass Einträge ins Klassenbuch und Verweise keine Folgen mehr haben. "Dann sagt sich der Lehrer doch irgendwann: Pfff, was soll ich da machen' ‑ und lässt alles laufen. Trotzdem: Im Vergleich zu anderen Städten ist es hier in Lübeck und am Johanneum noch wie in einer Oase."

 

Was er denn ändern würde? "Ich würde wieder den Klassenverband in der Oberstufe einführen und die Wahlmöglichkeiten der Leistungskurse einschränken. Welcher Schüler weiß denn schon wirklich nach der 10. Klasse, wo seine Stärken liegen. Ich bin während meiner Schullaufbahn immer autoritärer geworden, und es hat meinem Lehrerdasein keinen Abbruch getan", sagt Hartmann, der eigentlich gar nicht so streng wirkt.

 

Und noch etwas fällt ihm ein: Das Lehrerbild in der Öffentlichkeit. "Viele meinen doch, wir sind faul. Dass es ganz schön anstrengend ist, fünf Stunden am Tag vor den Schülern zu stehen, das sieht kaum jemand. Man muss voll konzentriert sein. Die Schüler fordern die volle Aufmerksamkeit. Die ganzen 45 Minuten. Da kann man nicht mal zwischendurch aus dem Fenster gucken."

 

Freut er sich auf die Pensionierung? "Ich habe gemischte Gefühle", gesteht Hartmann, den Kopf nachdenklich in die Hand gestützt. "Man weiß ja nie so genau, wie das ist mit dem Übergang in den Ruhestand. Ich wollte mit 63 gehen. Ich habe auch noch andere Interessen ‑ jenseits der Schule." Zum Beispiel sein Altstadthaus, das viel Arbeitbedeutet.

 

Quelle: "Lübecker Nachrichten" vom 26.8.1999

 

Anmerkung: Auf Seite 268 der "Rechtsbeugermafia" findet sich ein Einschub über die "Erste Anstalt", das "Johanneum zu Lübeck". Dort heißt es unter anderem:

 

"Studienassessor Hartenstein beglückte, als Walter von der Vogelweide und das Mittelhochdeutsche auf dem Lehrplan stand, mit Minnegedichten auf Schallplatte; bei dem oberschwul vorgetragenen Refrain auf '...tandaradei' lag die halbe Klasse unter den Tischen und hielt sich vor Lachen die Bäuche."

 

"Hartenstein" ist das Pseudonym für Günter Hartmann. Unsere Klasse war gesegnet mit guten und angenehmen Paukern. Herr Hartmann gehörte zu dieser Spezies. Auch der Mathe-Papst Hans Wäsche, der schon einen Beitrag auf dieser Homepage hat, zählte  dazu wie Wilhelm Böttcher, "Bolle" Harms, Klaus-Dieter Lack, Otto Bohn, "Bammel" Schier, "Charly" Grossmann, Heinz Draeger, "Hansi" Wille, Jürgen Gruhl und viele andere mehr.