Antisemitisches Milieu ?

 

1888

Dezember

 

Aus einem Gedicht von Heinrich Mann (1871‑1950): "Vor der Börse seh ich wandeln Juden beider Confessionen, schachern, als ob es sich handeln thät um Salomonis Thron."

 

1890

 

Rabbiner Dr. Salomon Carlebach wird, obwohl Mitglied der Bürgerschaft, die Einsichtnahme in die die Juden Lübecks betreffenden Akten im Staatsarchiv Lübeck verwehrt. Begründung: Das Verhalten der Stadt gegen die Juden vor 1848 bilde "eine der traurigsten Seiten unserer vaterstädtischen Geschichte, da mit seltener Grausamkeit und Kurzsichtigkeit gegen dieselben vorgegangen ist". Es müsse "schon große Entsagung dazugehören, diese schmutzige Wäsche fremden Augen zu zeigen".

 

1893

 

Gründung des "Antisemitischen deutsch‑socialen Vereins Lübeck"; Vorsitzender: Webermeister August Hopp. Dieser Verein zur Wahrung von Mittelstandsinteressen war wenig erfolgreich.

 

1894

 

Letzte Bestattung auf dem jüdischen Friedhof vor dem Holstentor.

 

1895

April

 

Heinrich Mann ist bis März 1896 Herausgeber der Monatsschrift "Das zwanzigste Jahrhundert, Blätter für deutsche Art und Wohlfahrt", Berlin; eine "militant völkische Zeitschrift" (Joachim Fest, 1985). In dem dort erschienenen Beitrag "Jüdischen Glaubens" sagt Heinrich Mann den Untergang der Kultur voraus, solange man die Juden, "die wilden Tiere im freien Spiel der Kräfte, duldet, anstatt sie auszurotten oder in Käfige zu sperren."

 

1896

 

Mit der Beschreibung der Baronin von Stein als einer "häßlichen kleinen Jüdin in einem geschmacklosen grauen Kleid. An ihren Ohren funkelten große Brillanten" in der im "Simplicissimus" erscheinenden Novelette "Der Wille zum Glück" leistet Thomas Mann einen Beitrag zum derzeit in Deutschland herrschenden Antisemitismus. Thomas Mann hat gelegentlich Beiträge für die deutschnationale, antisemitische Zeitschrift "Das zwanzigste Jahrhundert" (Herausgeber: sein Bruder Heinrich Mann) geschrieben.

 

1898

 

Von Rabbiner Dr. Salomon Carlebach erscheint die "Geschichte der Juden in Lübeck und Moisling, dargestellt in neun in dem Jünglingsverein (Chevras Haschkomoh) zu Lübeck gehaltenen Vorträgen". Carlebach war dafür die Benutzung des Staatsarchivs nicht gestattet worden (siehe 1890). ...


 

 

 

 

1916

18. Februar

 

Der von den deutschen (jüdischen) "Bné‑Brith"‑Logen gestiftete Lazarettzug mit 250 Betten macht in Lübeck Station, wo die Bevölkerung die Möglichkeit hat, ihn zu besichtigen. Er tritt von hier seine 25. Reise in den Osten an.

 

1917

 

Gegen den Rat seiner Frau und Kinder verfaßt der (überzeugt deutsch‑vaterländisch eingestellte) Rabbiner Dr. Salomon Carlebach die Schrift "Der Zionismus ‑ in seiner jetzigen Gestalt und in der heutigen Zeit ‑ ein Feind des Judentums, eine Gefahr für die Judenheit". Sein ältester Sohn, Bankier Alexander Carlebach, soll die Auflage aufgekauft haben, um sie einstampfen zu lassen.

 

Quelle: "Zwischen Davidstern und Doppeladler - Illustrierte Chronik der Juden in Moisling und Lübeck" von Albrecht Schreiber, Lübeck 1992, S. 64 + 86