Rotary-Sumpf
Die Rotarier Genscher und Graf Lambsdorff ließen sich vor den Karren eines Finanzkonzerns spannen, den DER SPIEGEL als „Abzock-Gruppe“ bezeichnet und die Braunschweiger Justiz, die schon jahrelang im VW-Skandal durch Untätigkeit versagt hat, gleicht erneut dem Bild der drei Affen.
Hinter
der Pleite des Finanzkonzerns Göttinger Gruppe verbirgt sich möglicherweise ein
Justizskandal. Der vor kurzem eingereichte Insolvenzantrag
der Gesellschaft, der mehr als 100.000 Sparer über eine Milliarde Euro anvertraut
haben, überraschte zwar kaum mehr jemanden. Neben dem SPIEGEL
(16/1998) hatten zahlreiche Medien vor der Abzock-Gruppe rund um
ihren damaligen Chef Erwin Zacharias gewarnt. Aber die
Göttinger Gruppe konnte weiter munter Geld
einsammeln, obwohl schon im Herbst 1999 Wolfgang Artopoeus,
der damalige Präsident des Bundesaufsichtsamts für das Kreditwesen,
bei der Staatsanwaltschaft Braunschweig Strafanzeige gestellt hatte. Er besaß ernstzunehmende
Hinweise auf ein „Schneeballsystem“ bei der
Gruppe, die die Gelder der Anleger
in immer neue Unternehmen steckte. Da es sich um sogenannte atypische
Beteiligungen handelte, die seiner Aufsicht entzogen sind, konnte das
Bundesaufsichtsamt selbst nicht intervenieren. Auch Artopoeus' Nachfolger
Jochen Sanio warnte im Juni 2002 in einem Brief an den niedersächsischen
Justizminister Christian Pfeiffer vor einer Einstellung des Ermittlungsverfahrens.
Die Aufseher hatten zahlreiche Hinweise auf Betrug und Zahlungsunfähigkeit
einzelner Gesellschaften der Göttinger
Gruppe erhalten. Als die Braunschweiger
im September 2002 die Ermittlungen trotzdem einstellten, kritisierte die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) harsch die Staatsanwaltschaft in Briefen an besorgte Anleger. Die nun dem SPIEGEL vorliegenden elf Seiten ihrer „Abteilung Integrität des Finanzsystems“ lesen sich wie eine Aufforderung
an die Staatsanwaltschaft, endlich zu
handeln. So beschrieben die Aufseher,
wie eine Tochter der Göttinger Gruppe „die eingehenden Ratenzahlungen der Anleger zur Sanierung der
konzerneigenen Partin Bank verwendet hat“.
Trotz der Überweisungen schlitterte
das Institut 2001 in die Insolvenz. „Die Staatsanwaltschaft Braunschweig sieht darin keinen Betrug oder Untreue“, schrieb
die BaFin irritiert. Aus einer
Vielzahl von Anlegerbeschwerden hat die BaFin ermittelt, dass die Göttinger
Gruppe schon in den Geschäftsjahren
1999 bis 2001 bei Kündigungen keine Guthaben
mehr ausgezahlt hat. Doch die
Staatsanwaltschaft habe die Pflicht zur
Insolvenzanmeldung verneint, die Anleger
könnten noch keine Zahlungen verlangen.
„Welche Berechnungsgrundlage der
Staatsanwaltschaft für die Jahre vorschwebt, für die inzwischen Jahresabschlüsse festgestellt worden sind, ist unerfindlich“, schrieben die Aufseher den Anlegern, die sich bei ihnen beschwerten. Dass die Göttinger Gruppe trotz Protesten von Verbraucherschützern überlebte und ihre Beteiligungsmodelle nie der Finanzaufsicht unterstellt
wurden, könnte auch mit den engen Beziehungen zur Politik zu tun haben, spekulieren
Anlegerschützer. In den Neunzigern
warb sie offensiv mit ihren Kontakten. In der Broschüre „Private
Altersvorsorge nach Maß“ zeigte sich der damalige Unternehmenschef Zacharias unter anderem mit Ex-Außenminister
Hans-Dietrich Genscher. 1995 war sich FDP-Größe Otto Graf Lambsdorff gar sicher, die Göttinger Gruppe tue „ihr Bestes, als innovativer Finanz -und Versicherungskonzern ihren Anlegern Wegweisung durch die Vielfalt dieser modernen Finanzwelt zu geben“.
Quelle:
DER SPIEGEL 25 / 2007 / 102 („BaFin attackiert Justiz im Fall Göttinger
Gruppe“)