Gerhard Gaul

Vom Kriegsrichter zum Justizminister

(und von den Nazis zur CDU und den Rotariern)

Marinekriegsrichter Gerhard Gaul - 1909 bis 1982 - war gefürchtet. Ein Matrose, der nach dem Kriege in französischer Kriegsgefangenschaft mit anderen Marineangehörigen zusammenkam: "Gaul war überall bekannt. Sobald sein Name fiel, hob jeder die Hände. Er war berühmt-berüchtigt für seine gnadenlose Härte."

Drei Todesurteile sind von ihm bekannt geworden. Das erste dieser Urteile fällte Gaul am 14.4.1942 als Kriegsrichter in Wesermünde gegen den 27jährigen Matrosen Walter R. aus Hannover, einen einfachen Mann mit Hilfsschulbildung. R. hatte am 15.9.1941 bei einer Freundin seine Urlaubszeit überschritten, sich nicht getraut, zur Truppe zurückzukehren und war am 21.12.1941 in Berlin verhaftet worden. Aus den Urteilsgründen: "Für die Fahnenflucht ist die Todesstrafe ausgesprochen. Sie ist notwendig. Selbst wenn ihm zugute gehalten wird, daß er ein haltloser und zielloser Charakter ist, so würde eine langjährige Zuchthausstrafe bei diesem Angeklagten keinen Zweck haben ... Asoziale Elemente wie der Angeklagte müssen ausgemerzt werden." Das Todesurteil wurde am 1.6.1942 auf dem Pistolenschießstand Spaden bei Wesermünde vollstreckt. R. war nicht sofort tot, der Offizier gab dem schwer verwundeten den Fangschuß. R.'s Mutter bekam bei der Todesnachricht einen Herzanfall und starb - es war ihr einziger noch lebender Sohn gewesen.

Das zweite Todesopfer war der Matrose Karl-Heinz Lichters. Er hatte gemeinsam mit anderen Matrosen mitten im Winter in einem offenen V-Boot der "Kärnten" einen Schiffsarzt nach Narvik gebracht. Wegen der bitteren Kälte war an je vier Mann der Besatzung eine Flasche Rum ausgegeben worden. An Bord der "Kärnten" zurückgekommen, war Lichters stark angetrunken. Der wachhabende Offizier schnauzte ihn deshalb an. Auf das Götz-von-Berlichingen-Zitat ließ der Offizier Lichters festnehmen. Am 27.1.1943 verurteilte Gaul ihn deshalb in der Offiziersmesse der "Kärnten" zum Tode. "So konnte ich alles mithören, vor allem das Gebrüll von Gaul. Lichters hat nichts gesagt", erinnert sich ein Ohrenzeuge. Verteidiger war Fridjof P. "Ein semmelblonder Ostfriese, gutmütig. Unser Navigationsoffizier. Aber eben kein Jurist und ohne Chance gegenüber Staatsanwalt und Richter", so derselbe Kamerad. Das Urteil wurde an dem knapp 20jährigen Lichters am 4.3.1943 vollstreckt.

Dem dritten Todesurteil vom 6.4.1943 fiel der Norweger Finn Hauge zum Opfer. Ihm war Wehrmittelbeschädigung zur Last gelegt, weil er zwei Wasserbomben mit einem Bausch Putzwolle unschädlich gemacht habe. Hauge hat in der Hauptverhandlung und auch unmittelbar vor seinem Tode auf der Hinrichtungsstätte die Tat bestritten. Nur nach Folter während einer Vernehmung hatte er die Tat gestanden. Dazu Gaul im Urteil: "Selbst wenn der Angeklagte in der langwierigen und durch das anfängliche Leugnen schwierigen Vernehmung scharf angefaßt sein sollte, bestehen doch keine Bedenken."

Im Mai 1967 wurde Gaul - nach dem Kriege in die CDU eingetreten - in Schleswig-Holstein Justizminister, später Wirtschaftsminister. Als Justizminister hatte er sich mit dem Satz: "Das Recht ist der Hort und die Möglichkeit der Freiheit" eingeführt.

1972 hängte ihm der damalige Ministerpräsident Stoltenberg persönlich das Große Bundesverdienstkreuz um - eine Ehre besonderer Art.

Nach seiner Zeit als Minister (seine juristischen Kenntnisse und Fähigkeiten waren sehr bescheiden) war Gaul Stadtpräsident von Lübeck. Als seine Todesurteile bekannt wurden, forderten SPD und FDP den Rücktritt des Präsidenten. Stoltenberg verteidigte ihn: Gaul habe sich "besonders großes Ansehen und große Verdienste erworben". Der nachfolgende Ministerpräsident Barschel wandte sich damals gegen "vorschnelle Erklärungen". Der Sachverhalt müsse "mit Gelassenheit, in Ruhe und mit dem notwendigen Fingerspitzengefühl" geklärt werden. Gaul blieb Stadtpräsident, wurde mit den Stimmen der CDU - die SPD hatte aus Protest die Bürgerschaft verlassen - Ehrenbürger von Lübeck und erhielt die höchste Auszeichnung der Stadt....

 

Wachwechsel im Lübecker Rathaus

In der Bürgerschaftssitzung am 29.11.1979 trat Stadtpräsident Gerhard Gaul aus Altersgründen von seinem Amt zurück...Der neue Stadtpräsident Sophus Pohl-Laukamp (CDU, Kiwanis Club und ebenfalls ein sehr bescheidener Jurist) würdigte noch einmal die großen Verdienste seines Vorgängers um die Hansestadt Lübeck:

Sehr geehrter Herr Minister (das war er schon lange nicht mehr) Gaul!

Sie haben sich entschlossen, von dem Amt des Stadtpräsidenten zurückzutreten. Das war Ihr freier und durch nichts beeinflußter Wille. Wir alle respektieren das. Es gilt also, von Ihnen Abschied zu nehmen und Ihnen zu danken, Ihnen zugleich alles Gute, vor allem beste Gesundheit, zu wünschen.

Über zwanzig Jahre waren Sie Mitglied der Bürgerschaft. Schon kurz nach Ihrem Eintritt in die Bürgerschaft wurden Sie Senator. Drei Jahre lang, nämlich von 1959 bis 1962 waren Sie Sportsenator. Sie waren der erste Sportsenator, den unsere Stadt hatte. Über 17 Jahre waren Sie entweder Stadtpräsident oder dessen erster Stellvertreter. Von 1967 bis 1969 wirkten Sie als Minister des Landes Schleswig-Holstein, zunächst Justiz-, dann Wirtschaftsminister. Obwohl Sie ein Ministeramt bekleideten, blieben Sie weiterhin Mitglied der Bürgerschaft und übten, damals stellvertretender Stadtpräsident, auch häufig den Vorsitz in der Bürgerschaft neben ihrem Ministeramt aus. Das zeigt ein hohes Maß an Einsatzbereitschaft und Hingabe an die Pflicht, aber es zeigt auch, mit welcher Liebe Sie auch als Landesminister Ihrer Vaterstadt zu dienen bereit waren (ein winziges Quäntchen dieser angeblichen Liebe in Form von Menschenliebe hätte nie und nimmer die Hinrichtung dieser drei Soldaten für absolute Bagatellen zugelassen).

Die Öffentlichkeit kennt Sie vornehmlich als Stadtpräsidenten. Ihre Interessen, Ihr Engagement und Ihre weitverzweigten Fähigkeiten ließ Sie aber auch noch andere Aufgaben übernehmen. Sie gehörten zahlreichen Ausschüssen der Bürgerschaft an. Neben den öffentlichen Ämtern haben Sie noch viele Aufgaben in verschiedenen Vereinen und Verbänden wahrgenommen. Hier sei insbesondere erwähnt, daß Sie von 1951 bis 1960 Präsidiumsmitglied des Deutschen Ruderverbandes waren, daß Sie von 1958 bis 1960 Direktor der "Gesellschaft zur Beförderung gemeinnütziger Tätigkeit" waren und daß es auch eines Ihrer Verdienste ist, daß die Mütterschule in ihrer jetzigen Gestalt geschaffen werden konnte....

Die Vielzahl der Ihnen verliehenen Orden zeigt das Ansehen, das Sie sich in Ihren Ämtern und durch Ihre Leistungen und Verdienste erworben haben...

Sie haben sich den Herausforderungen des Lebens und unserer Zeit immer mutig gestellt, humanistisch gebildet und von dem Willen getragen, dem Gemeinwohl zu dienen. Der Goethespruch, den Sie als Abiturient mit auf den weiteren Lebensweg erhielten, lautete: "Keine Probe ist gefährlich, zu der man Mut hat." Sie hatten und haben Mut und jede Probe bestanden....

(an dieser Stelle soll das widerliche Gesülze des Partei- und Serviceclubfreundes zur Vermeidung gesteigerten Brechreizes abgebrochen werden.)

 

"Es hat etwas zu tun mit Rudimenten einer bestimmten Linie konservativer Politik, die man schlichtweg als reaktionär bezeichnen muß. Deshalb konnten hier (in Schleswig-Holstein) immer wieder Leute in die Politik kommen, die in den finstersten Tagen Deutschlands eigentlich schon die größten Teile ihrer Ehre zurückgelassen hatten. Die hat in der deutschen Geschichte immer zwei Ebenen der Moral gehabt. Die eine für ihre eigene Klasse und Schicht, die andere für den Umgang mit denen, die darunter stehen. Sozialdemokraten sind da Menschen zweiter Klasse. Mit denen darf und kann man völlig legitim anders umgehen, zumal dann, wenn sie den Staat einmal führen wollen. Wer sich über dreißig Jahre lang angewöhnt hat, mit der Macht nach Belieben zu verfahren, der sieht nicht gern zu, wie diese Macht in andere Hände überwechselt."

(Björn Engholm in einem Stern-Interview vom 29.10.1987)