Philemon und Baucis GUSTAV SCHWAB
Im hügeligen Phrygien steht eine
alte Eiche und dicht daneben eine ebenso alte Linde, beide von einer niedrigen
Mauer umgeben. Mancher Kranz schmückt ihre Zweige, von frommer Hand mit
heiliger Scheu daran gehängt. Nicht weit davon breitet ein sumpfiger See die
seichte Flut; wo vordem bewohntes Erdreich war, da flattern jetzt Taucher und
Fischreiher umher. Einst kam in diese Gegend Vater Zeus mit seinem Sohne
Hermes, der nur den Stab, nicht aber den Flügelhut trug. In menschlicher
Gestalt wollten sie die Gastlichkeit der Menschen versuchen: darum klopften sie
an tausend Türen und baten um ein bescheidenes Obdach für die Nacht. Aber hart
und selbstsüchtig war der Sinn der Bewohner, so daß die Himmlischen nirgends
Einlaß fanden. Siehe, da stand ein Hüttchen am Ende des Dorfes, niedrig und
klein nur, mit Stroh und Sumpfrohr gedeckt; aber im ärmlichen Hause wohnte ein
glückliches Paar, der biedere Philemon und Baucis, seine Gattin gleichen
Alters. Hier hatten sie zusammen die frohe Jugend durchlebt, hier waren sie zu
weißhaarigen Alten geworden. Sie machten kein Hehl aus ihrer Armut, und leicht
ertrugen sie ihr dürftiges Los. Heiter und freundlich, in herzlicher Liebe,
schalteten sie in dem bescheidenen Häuschen, das sie allein miteinander
bewohnten.
Als nun die hohen Gestalten
der beiden Götter diesem ärmlichen Dache sich nahten und die niedere Pforte mit
gebücktem Haupte durchschritten, kam ihnen das wackere Paar mit herzlichem
Gruße entgegen; der Greis stellte die Sessel zurecht, auf die Baucis sogleich
ein rauhes Gewebe deckte, und bat die Gäste, sich auszuruhen. Das Mütterchen
eilte geschäftig zum Herde, stöberte in der lauen Asche nach einem glimmenden
Funken, häufte trockenes Laub und Reisig und blies aus dem Qualme mit schwachem
Atem die Flammen an. Dann holte sie Spaltholz und Reisig und schob es unter den
kleinen Kessel, der über dem Feuer hing. Unterdessen hatte Philemon Kohl aus
dem wohlbewässerten Gärtchen geholt, den die Alte eifrig entblätterte. Dann hob
er mit der zweizinkigen Gabel einen geräucherten Schweinsrücken von der rußigen
Decke des Gemaches (lange hatten sie ihn zu festlicher Gelegenheit aufgespart)
und schnitt ein mäßiges Stück von der Schulter ab, um es ins siedende Wasser zu
werfen. Damit nun aber den Fremdlingen die Weile nicht lang werde, bemühten
sich die Gatten, durch harmloses Gespräch die Gäste zu unterhalten. Auch gossen
sie Wasser in die hölzerne Wanne, damit diese am Fußbade sich erquickten.
Freundlich lächelnd nahmen die Götter das liebreich Gebotene an, und während
sie die Füße behaglich ins Wasser streckten, richteten die guten Wirte das
Ruhebett zu. Dieses stand inmitten der Stube, mit Teichschilf waren die Polster
gestopft, von Weidengeflecht die Füße und das Gestell; aber Philemon schleppte
Teppiche herbei, die sonst nur an festlichen Tagen hervorgeholt wurden. Ach,
auch sie waren alt und schlecht, und dennoch legten die göttlichen Gäste sich
gern darauf, um nun das fertige Mahl zu genießen. Denn jetzt stellte das
Mütterchen, geschürzt und mit zitternden Händen, den dreibeinigen Tisch vor das
Lager, und da er nicht feststehen wollte, schob sie dem zu kurzen Fuß eine
Scherbe unter; darauf rieb sie die Platte mit frischer Krauseminze und trug die
Speisen auf. Da waren Oliven, herbstliche Kornelkirschen, eingemacht in klarem,
dickem Safte, auch Rettich, Endivien und trefflicher Käse, und Eier, in warmer
Asche gesotten. Alles das brachte Baucis auf irdenem Geschirr, und dabei
prangten der bunte, tönerne Mischkrug und zierliche Becher aus Buchenholz,
innen mit gelbem Wachs geglättet. Weder von hohem Alter noch gar zu süß war der
Wein, den der redliche Wirt einschenkte. Jetzt aber sandte der Herd die warmen
Gerichte, und die Becher wurden zur Seite geschoben, damit es nicht an Platz
mangle für den Nachtisch. Nüsse, Feigen und runzlichte Datteln wurden
herbeigetragen, auch zwei Körbchen mit Pflaumen und duftenden Äpfeln; selbst
purpurne Trauben fehlten nicht, und in der Mitte der Tafel prangte eine
weißglänzende Honigscheibe. Die schönste Würze des Mahles aber waren die
freundlichen Mienen des Gastgeberpaares, ein guter Wille und treuherziger Sinn.
Während nun alle an Speise und
Trank sich labten, bemerkte Philemon, daß der Mischkrug trotz der immer von
neuem gefüllten Becher sich nicht leeren wollte und stets der Wein wieder bis
zum Rande emporwuchs. Da erkennt er mit Staunen und Furcht, wen er beherbergt,
und flüstert es der greisen Genossin zu. Mit demütig gesenkten Augen flehen sie
in ihrem Herzen, daß die Himmlischen gnädig auf das dürftige Mahl schauen und
ob der schlechten Bewirtung nicht zürnen. Ach, was sollen sie solchen Gästen
Besonderes bieten! Richtig, da fällt ihnen ein: draußen im kleinen Stalle ist
ja die einzige Gans, die wollen sie sogleich opfern. Beide eilen hinaus, aber
die Gans ist schneller als sie; mit Geschrei und flatternden Flügeln entwischt
sie den keuchenden Alten und lockt sie bald hierhin, bald dorthin. Zuletzt gar
rennt sie in das Haus hinein und verkriecht sich hinter den Gästen, als ob sie
die Unsterblichen um Schutz flehe. Und er ward ihr gewährt; die Gäste wehrten
dem Eifer der beiden Alten und sprachen mildlächelnden Mundes: "Wir sind
Götter! Der Menschen Gastlichkeit zu erforschen, stiegen wir nieder zur Erde.
Eure Nachbarn fanden wir ruchlos, und sie sollen der Strafe nicht entrinnen.
Ihr aber verlaßt dieses Haus und folget uns hinauf auf die Höhe des Berges,
damit ihr nicht unschuldig mit den Schuldigen leidet." Die beiden
gehorchten; auf Stäbe gestützt, strebten sie mühsam den steilen Berg hinan.
Noch einen Pfeilschuß waren sie vom höchsten Gipfel entfernt, da wandten sie
ängstlich den Blick und sahen die ganze Flur in einen wogenden See verwandelt,
nur einzig ihr Häuschen war von allen Gebäuden noch übrig. Während sie noch
staunten und das Schicksal der andren beweinten, siehe, da ward die alte,
ärmliche Hütte zum ragenden Tempel; von Säulen getragen, schimmerte das goldene
Dach, Marmor deckte den Boden. Und jetzt wandte sich Zeus mit gütigem Antlitze
zu den zitternden Alten und sprach: "Saget mir, du, redlicher Greis, und
du, des Redlichen würdige Gattin, was wünschet ihr euch?" Nur wenige Worte
wechselte Philernon mit seinem Weibe, dann sprach er: "Eure Priester
möchten wir sein! Vergönnt uns, jenes Tempels zu pflegen. Und weil wir so lange
in Eintracht miteinander gelebt haben, oh, so lasset uns beide in einer Stunde
dahinsterben; dann schau' ich niemals das Grab des lieben Weibes, noch muß mich
jene bestatten."
Ihr Wunsch ward erfüllt. Sie
hüteten beide des Tempels, solange ihnen das Leben gegönnt ward. Und als sie
einst, von Alter und Jahren aufgelöst, zusammen vor den heiligen Stufen
standen, des wundervollen Geschickes gedenkend, da sah Baucis ihren Philemon
und Philemon seine Baucis im grünen Laube verschwinden; schon wuchsen um beider
Antlitz schattige Wipfel in die Höhe. "Leb wohl, du Trauter! Leb wohl, du
Liebe!", so sprachen sie beide wechselnd, solange sie noch zu reden
vermochten. So endete das ehrwürdige Paar; er ward zur Eiche, sie ward zur
Linde.