Typisch lübsch (96)

 

Peter W.

Mecklenburger Landstraße

23570 Lübeck-Travemünde                                              6. Dezember 2005

 

 

An die

Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Kiel

- Schwerpunktabteilung zur Bekämpfung der Korruption -

Schützenwall 31 - 35

24114 Kiel

 

 

Strafanzeige wegen des Verdachts von Straftaten gemäß §§ 331ff, 266 StGB

 

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

in den "Lübecker Nachrichten" vom 14.6.2005 war auf Seite 1 folgender Artikel abgedruckt:

 

LÜBECK ‑ Der von der CDU geschasste Bürgermeister‑Kandidat Wulf Brocke (59) macht auf eigene Faust weiter. Das kündigte er gestern auf einer Pressekonferenz an.

 

"Ich habe die Wählerinitiative Freies Lübeck gegründet". sagte der frühere Geschäftsführer der Hamburger CDU. Mit dieser Wählerinitiative wolle er gegen Korruption, Bereicherung und "Mafia‑Methoden" in der Stadt kämpfen. Bei der Veräußerung von Flughafen und Priwall sei zu wenig Geld in die Stadtkasse geflossen.

 

Der 59‑Jährige kündigte einen "Wahlkampf der 1000 Gespräche" an. Die Menschen würden "toll" auf ihn reagieren: "Sie ermuntern mich." Brocke muss als Einzelbewerber 245 Unterschriften von Lübeckern sammeln und seine Bewerbung bis Mitte Juli beim Gemeindewahlleiter Wolf gang Halbedel (CDU) einreichen. "Die Unterschriften habe ich in einer Woche zusammen", erklärte er. Unterstützung finde er vor allem in seinem Wohnort Karlshof.

 

"Ich rate ihm, die Finger davon zu lassen", reagierte CDU-­Kreisvorsitzender Frank Sauter auf die Ankündigung seines Ex­-Kandidaten. Die CDU hatte sich mit dem Argument gesundheitlicher Probleme von Brocke getrennt.

 

Da ich selber auf dem Priwall in Travemünde wohne, hat mich diese Behauptung des ehemaligen Bürgermeisterkandidaten der CDU sehr interessiert, zumal die Lübecker Nachrichten dies mit einer Auflage von über 100.000 Exemplaren verbreitete, ohne erkennbar Widerspruch zu ernten oder eine Gegendarstellung zu kassieren. Danach wurde dann ein Senator der Hansestadt Lübeck in einer Lübecker Internetzeitung als "Berufsintrigant" bezeichnet. Es ging das Gerücht, man habe Herrn Wulf Brocke nur deshalb "für verrückt erklärt", weil er in ein Wespennest gestochen habe und weil gewisse Personen befürchteten, Herr Brocke könne im Fall eines Wahlsieges mit den von ihm behaupteten "Mafia-Methoden" aufräumen.

 

Eine weitere Recherche ergibt, dass die "Lübecker Nachrichten" bereits am 19.3.2005 von dem Unverständnis vieler Bewohner des Priwalls bezüglich der Preisgestaltung der Hansestadt berichteten. In diesem Artikel heißt es u.a.:

 

"Erheblichen Verdruss bereitet auch die Preispolitik der Stadt. 'Der Investor zahlt bis zu 85 Euro', rechnet Klempin vor, 'wir in der Wochenendhaussiedlung legen zwischen 100 und 200 Euro hin. Diese Unterschiede sind nicht nachvollziehbar'."

 

Herr Ulrich Klempin ist Vorsitzender der Wochenhaussiedlung.

 

Eine Überprüfung hat ergeben, dass die Preisdifferenz der teilweise unmittelbar aneinandergrenzenden Flurstücke noch erheblich gravierender ist, wobei man das Augenmerk nicht nur auf den Grundpreis, sondern auch auf die Erschließungskosten richten sollte:

 

Die Hansestadt Lübeck verlangt und erhält von den Erwerbern der bisherigen Pachtgrundstücke ab 1.1.2005 folgende Quadratmeterpreise:

 

Bereich I (gewerbliche Nutzung)                   204,52 Euro

Bereich II (nördlich des Seeweges)               176,40 Euro

Bereich III (zwischen See- und Waldweg)    147,00 Euro

Bereich IV (südlich Waldweg)                      117,60 Euro

 

Dabei ist zu beachten, dass die Erwerber dieser Grundstücke die vorhandene Erschließung bereits in ihrer Eigenschaft als Pächter ganz oder weitgehend gezahlt haben, so dass die oben genannten Preise tatsächlich Netto-Preise sind. Es macht offenkundig bei der Preisfindung keinen Unterschied, ob ein unerschlossenes Grundstück verkauft wird, oder ein erschlossenes, wenn der frühere Besitzer und jetzige Erwerber die Erschließungskosten bereits (ggfs. teilweise) gezahlt hat.

 

Nach der vertraulichen - nicht für die Öffentlichkeit bestimmten - Vorlage der Verwaltung der Hansestadt Lübeck (Wirtschaft, Hafen und Liegenschaften) vom 15.4.2005, die dann umgesetzt wurde, erlöst die Hansestadt von dem dänischen Investor (Projektgesellschaft Priwall Strand mbH und Fa. Planet-Haus GmbH, Pinneberger Straße 39, 25462 Rellingen) lediglich 27,30 Euro bzw. 29,75 Euro pro Quadratmeter netto. Offenbar aus rein optischen Gründen hat man diese Verschleuderung dadurch kaschiert, dass von Bruttopreisen von 78,- Euro bzw. 85,- Euro Erschließungskosten in Höhe von 50,70 Euro bzw. 55,25 Euro pro Quadratmeter abgezogen wurden.

 

Es kann nicht mit rechten Dingen zugehen, wenn die Hansestadt von ihren Bürgern für vergleichbare Grundstücke mit gewerblicher Nutzung über 204 Euro pro Quadratmeter verlangt und Parzellen in unmittelbarer Nachbarschaft für unter 30 Euro verschleudert.

 

In diesem Zusammenhang mag auch geprüft werden, ob nicht eine öffentliche Ausschreibung erforderlich war. Es handelt sich nämlich nicht um eine reine (fiskalische) Veräußerung von städtischem Grundeigentum, sondern die Veräußerung ist in einem größeren Umfang verflochten mit der Änderung der Bauleitplanung und mit Erschließungsverpflichtungen des Investors.

 

Die für diesen "Deal" Verantwortlichen haben sich in gewisser Weise durch eine gutachterliche Stellungnahme des hiesigen Gutachterausschusses abzusichern versucht, aber auch ein Sachverständigengutachten kann die aufgezeigten krassen Diskrepanzen nicht ausräumen. Gegebenenfalls mag unter Beachtung der deutlichen Worte des Herrn Brocke geprüft werden, wer alles involviert ist.

 

Abschließend rege ich an, nach einer eventuellen Sicherung und Sichtung der Aktenvorgänge innerhalb der Hansestadt und beim Investor mit einer Befragung der städtischen Sachbearbeiter Claus Strätz und Thorsten Upts zu beginnen und zwar u.a. zu dem Komplex, welche Weisungen und Vorgaben sie vom zuständigen Senator Halbedel erhalten haben.

 

 

Mit vorzüglicher Hochachtung

 

gez. Peter W.

 

 

Die Staatsanwaltschaft Kiel hat nicht einmal einen Anfachtsverdacht erkennen wollen und die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens mit Bescheid vom 25.1.2006 abgelehnt. Die nachfolgend wiedergegebene Begründung ist eher dürftig ausgefallen und überzeugt weder Laien noch Juristen:

 

Ich habe Ihre Strafanzeige geprüft.

 

Zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Straftat, aufgrund derer ich zum Einschreiten verpflichtet wäre, habe ich nicht feststellen können. Nach Abwägung aller wesentlichen Umstände in einer Gesamtschau besteht gemäß § 152 Abs. 2 StPO weder ein Anfangsverdacht von Korruptionsstraftaten nach den §§ 331 ff. StGB noch einer Untreue nach § 266 StGB gegen den Beschuldigten oder andere Beteiligte innerhalb der Verwaltung der Hansestadt Lübeck. Insbesondere beruhen Ihre Vorwürfe nur insoweit auf konkreten Tatsachen, als Sie die Preisgestaltung im Rahmen des Veräußerungsgeschäftes anführen. Darüber hinaus äußern Sie lediglich Vermutungen für das Vorliegen von Straftaten. Konkrete Anhaltspunkte, die auf eine Vorteilsannahme oder Untreuehandlungen seitens des Beschuldigten oder anderer Beteiligter innerhalb der Stadtverwaltung Lübeck hindeuten könnten, führen Sie hingegen nicht an. Dem geschilderten Sachverhalt kommt damit allenfalls indizielle Bedeutung zu. Bloße Vermutungen oder kriminalistische Hypothesen reichen aber nicht aus, um ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren einzuleiten. Ebenso stellen Presseartikel allein grundsätzlich keine ausreichende Grundlage dar, Personen mit strafrechtlichen Ermittlungen zu belegen.

 

Darüber hinaus ist zu beachten, dass es sich bei der Veräußerung der betroffenen Flächen und dem Abschluss eines entsprechenden stadtbaulichen Vertrages mit den Investoren nicht um ein Geschäft der laufenden Verwaltung handelte, welches der Beschuldigte alleinverantwortlich hätte vornehmen können. Demzufolge stimmte die Bürgerschaft lt. einer Presseveröffentlichung vom 17.05.2005 in der Lübecker Stadtzeitung diesem Flächenverkauf und damit auch der Preisgestaltung am 28.04.2005 zu. Nicht zuletzt aufgrund der ordnungsgemäßen Beteiligung und Zustimmung der willensbildenden Bürgerschaft der Hansestadt Lübeck sind auch insoweit keine Anhaltspunkte ersichtlich, die auf das Vorliegen von Korruptionsstraftaten schließen ließen. Schließlich ist die Staatsanwaltschaft nicht berufen, Entscheidungen der Selbstverwaltungsorgane der Kommunen, die u. U. aus gesamtwirtschaftlichen Erwägungen getroffen wurden, zu überprüfen. Insofern verbieten sich weitere Ermittlungsmaßnahmen, da solche rechtlich als strafprozessual unzulässige Vorfeldermittlungen anzusehen wären, die erst dazu dienen, tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen von Straftaten zu gewinnen.

 

Ich habe deshalb davon abgesehen, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten (§§ 152 Abs. 2, 170 Abs. 2 StPO).

 

Anmerkung:

 

1)           Die Staatsanwaltschaft hätte selbstverständlich auch im Vorprüfungsverfahren ermitteln müssen, ob der Verkauf einer Ausschreibung bedurft hätte. Wäre dies der Fall gewesen, hätte an der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens kein Weg vorbeigeführt.

2)             Aber allein schon die exorbitante Diskrepanz der Verkaufserlöse von Bürgern der Hansestadt einerseits und dem Investor andererseits - im Extremfall 204,52 Euro zu 27,30 Euro, was nur 13,3 % entspricht - müsste eine ernsthaft an Aufklärung interessierte Staatsanwaltschaft wachrütteln.

3)             Die Mitwirkung bzw. Zustimmung der Bürgerschaft ist kein Argument, solange man nicht einmal ermittelt, ob und gegebenenfalls welche Kritik von Gegenstimmen geltend gemacht wurde oder ob die Verwaltung der Bürgerschaft mit der Beschlußvorlage (wie so oft) Sand in die Augen gestreut hat. Im übrigen ist ein Bürgerschaftsbeschluß grundsätzlich nicht geeignet, ein eventuell strafrechtlich relevantes Handeln zu legalisieren. Letztlich kann man die Bürgerschaft überspitzt mit einer - teilweise mehr oder weniger volltrunkenen - Hammelherde vergleichen, die durch Aufsichtsratsposten in immer mehr ausgegründeten GmbHs ruhig gestellt wird, wobei die beiden großen Fraktionen mehr oder weniger blind ihrem Vorsitzenden hinterherlaufen, der seine Weisungen oft genug aus Club, Loge, Kaufmannschaft, VFB-Wirtschaftsrat oder sonstigem Establishment erhält.