Groß-Hamburg-Gesetz
(...) Vier Jahre nach dem
Umbruch (Machtergreifung durch die Nationalsozialisten, d.B.) verlor
Lübeck auf Grund des „Gesetzes über Groß-Hamburg und andere
Gebietsbereinigungen“ (kurz: Groß-Hamburg-Gesetz) am 1. April 1937 die
Eigenschaften eines Landes. Es fiel an das Land Preußen. Hier bildete es nach
Abtrennung seiner Landgemeinden den preußisch-staatlichen Verwaltungsbezirk
„Stadtkreis Lübeck“ und den Selbstverwaltungskörper „Hansestadt Lübeck“.
Ausgelöst wurde das Groß-Hamburg-Gesetz durch das Streben nach Überwindung der
Gebietszersplitterung im Unterelberaum, d.h. durch die Angliederung der bisher
preußischen Gebiete von Altona, Harburg, Wandsbek und anderen Orten an die
Hansestadt Hamburg. Als Entschädigung erhielt Preußen Lübeck, die oldenburgischen
Landesteile Lübeck (Eutin) und Birkenfeld sowie das bisher hamburgische
Cuxhaven, Geesthacht und einige hamburgische Landgemeinden. Mit der Vorstellung,
daß die Länder nach Verlust ihrer Landeshoheit ja nur noch Verwaltungsbezirke des
Reiches seien, wäre der Gedanke an Entschädigung eigentlich unsinnig gewesen.
Aber die Länderchefs, die häufig zugleich auch noch Reichsstatthalter und
Gauleiter waren, stritten heftig um die Erhaltung und Vergrößerung ihrer
Hausmacht. Bei den Veränderungen kam es darauf an, wer den besseren Kontakt zur
obersten Führung hatte. Allein in Lübeck ist von Bemühungen um die Erhaltung
des Restes an Eigenständigkeit nichts bekannt. Schon in den letzten Jahren der
Weimarer Republik hatte man sich insgeheim mit dem vorherzusehenden Verlust der
Eigenständigkeit abgefunden und nur noch um einen möglichst günstigen Anschluß
gerungen. Jetzt wurde dieser ohne Mitwirkung der Stadt verordnet. Nach mehr als
sieben Jahrhunderten der Eigenstaatlichkeit und einer großen Tradition war
dies bitter. Allein ernsthafte Kritik daran gab es nicht. Ein schwacher Trost,
daß man den Titel „Hansestadt“, Wappen und Flagge weiterführen durfte. Die neun
Exklaven, die etwa ein Drittel des lübeckischen Gebietes ausgemacht hatten,
wurden abgetrennt. Sie fielen an den Kreis Herzogtum Lauenburg, an den durch
das gleiche Gesetz an Preußen übergegangenen oldenburgischen Landesteil Lübeck,
nunmehr Kreis Eutin, und an Mecklenburg. Um weitere Verluste zu vermeiden,
hatte man vorsorglich schon 17 Landgemeinden — mit Ausnahme der Exklaven — am
1. Mai 1935 in die Stadt eingemeindet: Dummersdorf, Pöppendorf, Ivendorf,
Rönnau, Teutendorf, Brodten, Reecke, Niendorf, Moorgarten, Oberbüssau,
Niederbüssau, Kronsforde, Vorrade, Krummesse, Wulfsdorf, Beidendorf und
Blankensee. Während das Lübecker Staatsgebiet 298,73 km2 umfaßt
hatte, wurde jetzt das Stadtgebiet Lübecks auf 202,02 km2
vermindert. Bei den Überleitungsverhandlungen, durchgeführt auf preußischer
Seite vom preußischen Finanzminister Dr. Johannes Popitz, Staatsrat Dr. Kurt
Melcher und anderen, auf lübeckischer von Senator Dr. Hans Böhmcker und
Regierungsrat Gerhard Schneider, dauernd vom Februar 1937 bis Frühjahr 1939,
zeigte sich das preußische Staatsministerium großzügig. Es übernahm zwei
Drittel der Schulden der Hansestadt. Lübeck behielt seinen Land- und
Forstbesitz, auch außerhalb der neuen Grenzen. Eine Folge der Eingliederung
war, daß überall preußische Organisationsformen eingeführt wurden. Behörden in
Lübeck wurden zum Teil auch zuständig für die benachbarten Landkreise. Das
Landgericht Lübeck, bisher dem Hanseatischen Oberlandesgericht in Hamburg
zugeordnet, fiel nun in die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Kiel (heute
Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht in Schleswig). Sein Gerichtsbezirk
wurde vergrößert. Während die Landesversicherungsanstalt der Hansestädte von
Lübeck nach Hamburg verlegt wurde, erhielt Lübeck gewissermaßen als Ersatz die
nun auch für die Hansestadt zuständige Landesversicherungsanstalt Schleswig-Holstein,
die ihren Sitz von Kiel nach Lübeck verlegte. Der Anteil Lübecks an der
Hanseatischen Flughafengesellschaft Lübeck-Travemünde mbH war schon vorher auf
das Reich übertragen worden. In Fortführung der Überleitungsverhandlungen wurde
in den Hafenverträgen mit Preußen vom Februar 1941 erreicht, daß die Hälfte der
Anteile der Hafen GmbH in lübeckischer Hand blieb, die andere Hälfte an Preußen
überging. Eine weitere Folge war, daß Lübeck in der Parteiorganisation nicht
mehr in dem mit Mecklenburg gemeinsamen Gau Hildebrandts verblieb, vielmehr
jetzt zu dem Gau Schleswig-Holstein des Gauleiters Hinrich Lohse geschlagen
wurde, der zugleich auch Oberpräsident der Provinz war.
Quelle: „Lübeckische
Geschichte“, herausgegeben von Antjekathrin Graßmann, Lübeck 1988, S. 714 f
(aus dem 7. Teil: „Vom Ersten Weltkrieg bis 1985: Lübeck im Kräftefeld
wechselnder Verhältnisse“ von Gerhard Meyer)
Die „Lübecker Nachrichten“
brachten am 23.8.2006 einen mit „Die schwere Geburt Schleswig-Holsteins“
überschriebenen Artikel, zu dem der Dipl.-Ing. Reinhart Jahnke folgenden
Leserbrief verfasste:
Volkswille missachtet
Die von den Nazis
zwangsweise Eingemeindung Lübecks nach Holstein 1937 ist von Lübeck während der
Besatzungszeit zu vollem Recht angefochten worden. Nur Volkes Wille galt weder
unter den Briten noch unter der neuen BRD etwas: Es gab keine Volksabstimmung
für Lübeck! In anderen Regionen (Hohenzollern, Lippe, Oldenburg oder Pfalz) hat
man diese gezielt erst nach Jahrzehnten vorgenommen, um die historischen
Eigenarten der Gebiete zu zertreten. Die Hansestadt wird dadurch noch heute von
der Kieler Vormacht gedemütigt.