Emil Possehl
Die Possehl‑Stiftung
fördert soziale und kulturelle Einrichtungen in Lübeck, dementsprechend bekannt
ist sie den Bürgerinnen und Bürgern. Wesentlich unbekannter geblieben ist
dagegen der Gründer, Emil Possehl (1850-1919). In einer Doktorarbeit wird jetzt
die Geschichte des erfolgreichen Kaufmannes nacherzählt. Im April wird die Dissertation
im Rahmen der Veröffentlichungen des Archivs der Hansestadt Lübeck unter dem
Titel "Vorn Handwerker zum Unternehmer" (Reihe B, Band 32) erscheinen
und dann im Buchhandel erhältlich sein ‑ passend zu einem runden
Geburtstag: am 14. Februar wäre Possehl 150 Jahre alt geworden.
Emil Possehl und sein Bruder
Adolf übernahmen im Jahr 1873 die Firma ihres Vaters Ludwig. In der Folgezeit
erwies sich Emil als der geschicktere Geschäftsmann von beiden Brüdern, so daß
Adolf bald nach Hamburg ging und dort eine Possehl-Zweigniederlassung
gründete. 1897 zog er sich ganz aus dem Geschäft zurück.
Um 1900
herum war Emil Possehl Lübecks bedeutendster Unternehmer und reichster Bürger,
blieb aber dennoch in seiner Heimatstadt ein Außenseiter, hat der Soziologe Jan‑Jasper
Fast aus Bremen herausgefunden. Possehl galt als "schroff und
unnahbar" und habe seine Heimatstadt zeitlebens als "engherzig und rückständig"
empfunden. Das hat ihn aber nicht davon abgehalten, sich für seine Stadt
einzusetzen. "Er war lautstarker Motor für Lübecks Entwicklung",
schreibt Fast. So habe sich Possehl beispielsweise schon früh für eine Verbindung
zwischen Trave und Elbe eingesetzt und überdies für Lübecks Anschluß an die
sogenannte Vogelfluglinie, eine Eisenbahnfährverbindung zwischen Hamburg und
Kopenhagen, gekämpft. Auch war er Mitbegründer des lokalen Industrievereins.
Gleichwohl kam er erst
vergleichsweise spät in die Bürgerschaft ‑ erst 1891. Und es dauerte
weitere zehn Jahre, bis Possehl in den Senat aufrückte. Das hatte er wohl
ausschließlich seiner wirtschaftlichen Bedeutung zu verdanken, denn über Jahrhunderte
war ein Senatssitz stets damit verknüpft, daß man einer "alten Familie"
angehörte, so Fast. Dazu gehörten die Possehls nicht: In der zweiten Hälfte des
18. Jahrhunderts kam der erste Possehl, ein Rostocker Schneidergeselle auf
Wanderschaft, an die Trave.
Von endlosen Diskussionen
hielt Possehl augenscheinlich wenig: Wenn Debatten ins Stocken gerieten,
schaffte er mit Schenkungen Fakten ‑ der Stifter als "Anstifter".
So beendete er kurzerhand die viele Jahre andauernde Auseinandersetzung über
den richtigen Standort des Theaters, indem er das Grundstück stiftete, das ihm
persönlich als das Geeignetste erschien. Dort steht das Theater Lübeck noch
heute.
Die andauernde Reserviertheit
der Lübecker ihm gegenüber zeigte sich erneut im Ersten Weltkrieg, als er des
Landesverrates angeklagt wurde: Kurz nach seiner Verhaftung bat man ihn, als
Senator zurückzutreten. Possehl tat dies auf Anraten seines Anwaltes nicht. 1916
wurde er freigesprochen vom Vorwurf, während des Krieges "gewaltige
Mengen" Stahl an die japanische Rüstungsindustrie geliefert zu haben.
Daß
Emil Possehl die Schauspielerin Wilhelmine Ernestine Schönherr heiratete, war
sicher ebenfalls ein Skandal für die lübsche Gesellschaft. Es ist nicht bekannt,
wann die Trauung stattfand; sicher ist nur, daß die Ehe kinderlos blieb. So kam
Possehl auf die Idee, eine Stiftung zu gründen. Mit ihr konnte er den
Fortbestand der Firma sichern und gleichzeitig sein Lebenswerk dauerhaft
bewahren. Der Zweck der Stiftung entsprach seinen Erfahrungen in Politik und
Wirtschaft: "Zeit seines Lebens hatte er Barrieren überwinden müssen, die
durch einen sinnvollen Einsatz finanzieller Mittel hätten gar nicht entstehen
können oder frühzeitig beseitigt worden wären", schreibt Fast.
Emil Possehl starb kaum
69jährig am 4. Februar 1919. Die erste Vorstandssitzung der Possehl‑Stiftung
fand bereits am 11. Juni des gleichen Jahres statt.
Quelle: "Lübecker Stadtzeitung" vom 15. Februar 2000
Anmerkung: Das oben besprochene Buch von Jan-Jasper Fast ist in der
Stadtbibliothek der Hansestadt Lübeck in der Hundestraße vorhanden und
ausleihbar.
Zwei wichtig erscheinende Details haben wir in der Dissertation von Fast
vermißt: Zum einen den Hinweis, daß Ludwig Possehl aktenkundig Freimaurer war,
so daß eine gewisse Vermutung dafür spricht, auch sein Sohn Emil könne
Logenbruder gewesen sein. Zum anderen die gewiß wenig schmeichelhafte
Darstellung von Emil Possehl durch Heinrich Mann in dem Schlüsselroman
"Eugénie oder Die Bürgerzeit" (1928), die den Deutungen von
Jan-Jasper Fast oft gegenläufig ist. Heinrich Mann ist "Insider" und
sieht Emil Possehl nicht (nur) als "schroff und unnahbar", sondern
als rücksichtslosen Kapitalisten.
Der Prozeß wegen Landesverrats hatte dann auch noch einige von Fast nicht
wahrgenommene Facetten. Zum einen ist es durchaus plausibel, daß Emil Possehl
seine Untersuchungshaft im Hotel "Atlantik" an der Außenalster und
nicht im Gefängnis am Holstenglacis über sich ergehen lassen mußte; dies um so
mehr, wenn er Freimaurer gewesen sein sollte. Zum anderen gilt es unter
alteingesessenen Lübeckern als ausgemachte Angelenheit, daß Emil Possehl seinen
Freispruch in diesem Landesverrats-Prozeß allein seinem Prokuristen zu
verdanken hatte, der entgegen den Tatsachen die Schuld auf sich nahm, dafür ins
Gefängnis ging und ob dieser Loyalität fürstlich belohnt wurde. Er soll das
verwunschen anmutende Rotziegelgebäude Ecke Fackenburger Allee / Bei der
Lohmühle als Wiedergutmachung erhalten haben.