Unchristliche CDU - Was von der
CDU geblieben ist
Der niedersächsische CDU‑Chef
Christian Wulff, auch Mitglied des CDU‑Bundesvorstandes,
meint, die CDU müsse "alles tun, um ihr politisches Profil zu stärken und
ihren Anspruch geltend zu machen, als Volkspartei alle politischen Kräfte von
ganz rechts bis tief in die Mitte hinein zu vertreten". Wie wahr. Doch
wohin man auch sieht, scheint niemand in der CDU Lust zu haben, die Partei
wieder attraktiv zu machen. Die CDU wurde einst von katholischen und
evangelischen Christen gegründet, um nach der Überwindung des
Nationalsozialismus die deutsche Politik nach christlichen Grundsätzen zu
gestalten. Christliche Grundsätze, das bedeutete etwa Förderung der Familie, Sozialstaatsprinzip, vor allem aber die Durchsetzung des Subsidiaritätsprinzips, mithin das klare Bekenntnis zur
bundesstaatlichen Ordnung. Demgemäß lautete eine der grundlegenden Losungen der
CDU "Einheit in der Vielfalt".
Nach fünfundzwanzig Jahren mit
Helmut Kohl als Bundesvorsitzendem ist von alldem
nicht mehr viel übriggeblieben. Erstmalig seit Beginn des Parlamentarismus in
Deutschland gibt es außerhalb Bayerns keine Partei mehr, die die Interessen des christlichen Volksteils vertritt. Die CDU
führt zwar noch das Wort "christlich" in ihrem Namen, ist aber
insoweit ein Schwindelunternehmen. Weder Wulff noch
die anderen vor nicht allzu langer Zeit noch sogenannten "Jungen
Wilden" ‑ ganz zu schweigen von der Mehrzahl der sonstigen
Parteioberen ‑ machen den Eindruck, daß sie diesem Umstand irgendwelche
Bedeutung beimäßen. Eigentlich hätte es sie alarmieren müssen, daß etwa der
Berliner Kardinal Georg Sterzinsky kürzlich äußerte,
die CDU könne nicht mehr als Vertreterin christlicher Interessen angesehen
werden. Ebenfalls nicht weit zurück liegt eine sinngemäße Äußerung des
Hildesheimer Bischofs Josef Homeyer, einzelne
engagierte Katholiken gebe es heute in allen Parteien.
Die vielleicht
schwerwiegendste Folge des Verlusts der christlichen Grundlagen der CDU ist die
faktische Beerdigung unserer bundesstaatlichen Ordnung, vielfach geringschätzig
als Föderalismus bezeichnet. Während selbst klassische Einheitsstaaten in
Europa ihre Organisation auflockern, lautet in der Bundesrepublik Deutschland
die Devise "Zentralisierung". Die CDU ist voll mit dabei, wenn es
darum geht, möglichst viel an staatlichen Zuständigkeiten beim Bund zu
konzentrieren, was nicht zuletzt auch eine weitgehende Anonymisierung
der Politik bedeutet. ...
Quelle: Dr. Johannes Hesse, Wedemark
(FAZ-Leserbrief vom 1.11.2001)