Säuberung der Justiz und andere Notwendigkeiten der Republik
(...) Wer nicht sieht, daß es
ganze Gesellschaftsschichten sind, ganze Klassen und Kasten, die so verkommen,
so heruntergekommen in ihrem moralischen Empfinden, von so frechem Hochmut sind
— wer nicht sieht, daß man diesen Beamten, ihren Frauen, ihren Söhnen, diesen
Studenten, Professoren, Oberlehrern, Medizinern, diesen Balkan-Deutschen die
Macht zeigen muß, die unlogische, nicht objektive, ungerechte, einfache Macht:
der richtet das Land zugrunde. Und wir wollen uns nicht zugrunde richten
lassen. Wir haben nicht Lust, uns von einer kleinen Ober- und Mittelschicht,
diesen Opfern einer ausgezeichneten Propaganda, terrorisieren zu lassen. Dies
ist die Diktatur des Nationalismus.
Hier sind unsre Forderungen:
1.
Umwandlung der Reichswehr in eine Volksmiliz. Entfernung aller überflüssigen
und gegenrevolutionären Generale und Offiziere.
2. Entmilitarisierung der
Schutzpolizei. Stützung des Herrn Abegg, ihres Referenten. Zwangspensionierung
und Maßregelung aller unzuverlässigen Elemente, besonders in der Provinz.
3. Reformierung der Justiz —
ganz besonders der Staatsanwaltschaften, die auf dem Disziplinarwege zu fassen
sind. Rücksichtslose Säuberung der Justiz von allen monarchistischen
Elementen.
4. Demokratisierung der
Verwaltung. Durchgreifende Verfolgung jeder republikanischen Beschwerde.
Entlassung aller Beamten, denen antirepublikanische Politik nachzuweisen ist,
mit Entziehung der Pension. Aufhebung aller dem entgegenstehenden Vorschriften.
5. Stärkung des Reichs den
Ländern gegenüber.
6. Völlige Umformung der
Lehrkörper auf Schulen und Hochschulen. Sofortige Aufhebung aller
Zwangsmaßregeln, auch der indirekten, die darauf abzielen, aus den körperlichen
Leibesübungen der Studenten eine neue Wehrpflicht zu machen.
7. Sofortige Amnestie für die
politischen Häftlinge aller Art, soweit sie republikanisch sind. (Also nicht
für Herrn v. Jagow.) Diese Forderung ist insbesondere für die Leute aus
Niederschönenfeld zu erheben, von denen keiner, kein einziger, ein so
viehisches Verbrechen auf dem Gewissen hat, wie es die Mordtaten an Erzberger
oder Rathenau sind.
8. Aufhebung des § 360 des
Reichs-Strafgesetzbuches, Ziffer 8. Diese Vorschrift stellt das unbefugte
Tragen von Orden und Ehrenzeichen unter Strafe, ebenso die unbefugte Führung
des Adelstitels. Dieser monarchistische Unfug verdient nicht, verboten zu
werden — man muß ihm seinen Wert nehmen. Da der Adel heute nicht mehr verliehen
wird, so hat diese schwer antirepublikanische Kaste einen größeren Wert als je
zuvor: den Seltenheitswert. Diese Mätzchen der Monarchie müssen der allgemeinen
Wertlosigkeit verfallen.
9. Vor
allem aber: Aufklärung und Propagierung der neuen Ideen einer neuen Republik:
Die Zerstörung der Preußen-Legende ist da an erster Stelle zu nennen.
Abgesehen von der moralischen Vertiertheit vieler Vertreter diesen Systems muß
eben das System in seinen Wurzeln angegriffen werden: klar und deutlich ist an
Beispielen zu zeigen, wie da gearbeitet worden ist. Aus diesem Negativen
entwickelt sich das Positive: aus Untertanen werden Bürger, aus
Hände-an-die-Hosennaht-Maschinen Menschen, aus Kerls Männer. Unbequem für die
frühern Herren — eiserne Notwendigkeit für den Bestand einer Republik. (...)
Quelle: Kurt Tucholsky –
Auszug aus „Die zufällige Republik“ (1922)