Herrschaftskitzel
Auf
Universitäten forsch gesoffen,
in
Kaiser‑Fackelzügen mitgeloffen,
so
wuchs das auf zum Referendar.
Hinaus
aufs Land, wo brave Bauern wohnen.
Und
auf den ersten Amtsgerichtsstationen
krümmt
sich, was nie ein Recke war.
Sie können
alle Paragraphen nennen
und
lernen Menschen nur aus Akten kennen.
Examenspaukerei.
Das Stammtisch-Schnitzel.
Der
Staatsanwalt erzieht zum Herrschaftskitzel.
«Was
heult die Frau? Ich brauch ein Protokoll!
ich
schreibe fleißig meine Akten voll:
Im
Namen des Königs ‑!»
Auf
seinem Armesünderstühlchen droben
sitzt
das in seidenen, faltenreichen Roben -
darunter
grauer Spießerrock.
Die
Herzen schlagen rechts. In den Prozessen,
in
denen sich ein Freiheitsmann vergessen,
zuckt
durch den Saal der Büttelstock.
Der
Staatsanwalt amtiert im selben Hause;
man
spricht mit ihm, so in der Frühstückspause.
Der
Rechtsanwalt scheint eine Art Komplice.
Der
Staatsanwalt monokelt voll Malice.
Die
Richter kennen ihn, und er kennt sie:
Und
was er nicht besorgt, besorgen die.
Im
Namen des Volkes ‑!
So hat
die Urteilsformel sich gewandelt.
Doch
wird im alten Ungeist fortverhandelt,
ganz
wie in jener Kaiserzeit.
Und
Vorvernehmung und Geschworenensiebung
und
Fragestellung und die Strafverschiebung -
Wo steckt
da die Parteilichkeit?
Wo,
deutsche Richter? Tief in euern Herzen!
Wir
kennen euch und eurer Opfer Schmerzen!
Wir
glauben euch nicht mehr und eurer Waage -
Das
Ding hängt schief! Das sehn wir alle Tage.
Die
Binde der Justitia ‑ welch ein Bruch!
Steht
auf!
Und
dies sei euer Urteilsspruch:
Sehn
wir euch an, packt uns ein tiefes Graun -
Wir
haben zu euch Richtern kein Vertraun!
Im
Namen des Volkes -!
Kurt Tucholsky (1922)