Die Wendehälse

Siggi Fischkopp ist ein Karrierist durch und durch. Er gehört zu den Burschen, deren große

Leidenschaft die Macht und denen jeder Weg dorthin recht ist. Als Flüchtlingskind aus dem

Osten über Internierung in Dänemark nach Filzbeck gekommen, hatte er ursprünglich einmal

politische Wissenschaften studieren wollen; als er jedoch erfuhr, daß viele Diplom-

Politologen mit Müh und Not eine Beamtenplanstelle der Besoldungsgruppe A 9 (Inspektor)

erhalten würden, sattelte er schleunigst auf die Juristerei um.

Als in einem nahe Filzbeck gelegenen historischen Strandbad ein Hotel mit sage und schreibe

36 Stockwerken errichtet werden sollte, demonstrierte er noch mit den Jungsozialisten gegen

das Establishment. Aber dies war nur eine kurze Episode, weil man ihm schnell verklickerte,

daß in Schleswig-Holstein alles mit und nichts gegen die CDU laufe. Seine politischen

Schwärmereien solle er schnell vergessen; denn bei den Jusos oder der SPD würde er auf alle

Zeit auf verlorenem Posten kämpfen.

Einen gleichartigen politischen Werdegang nahm Wally Lockow, sein ihm nachfolgender Juniorpartner,

der mit dem Eintritt in die Sozietät aus der SPD aus- und in die CDU eintrat. In

diesem Punkt wollen wir jedoch nicht allzu kleinlich sein. Immerhin dürfte kaum ein anderes

Volk unter Gottes Sonne nicht nur 1945 und 1989 so intensiv und zahlreich von dem Recht

auf politischen Irrtum Gebrauch gemacht haben wie die Deutschen.

Hitlers Anweisungen, mit den Widerständlern des 20. Juli kurzen Prozeß zu machen,

“wurden buchstabengetreu befolgt von Roland Freisler, dem Vorsitzenden des

Volksgerichtshofes, einem gemeinen Mann, der sich mit Vorliebe in Schmähungen erging.

Im Ersten Weltkrieg war er in russischer Gefangenschaft gewesen und ein fanatischer

Bolschewist geworden. 1924 wurde er ein ebenso fanatischer Nationalsozialist, blieb jedoch

ein Bewunderer sowjetischer Terrormethoden, die er genau studiert hatte.”

W. L. Shirer: “Aufstieg und Fall des Dritten Reiches”, S. 976

Tunlichst sollte sich die Karriereplanung auch auf den privaten Bereich beziehen. So heiratete

Siggi die Schwester seines späteren Seniorpartners. Von dem Kanzleigründer erwarb er dann

günstig ein Grundstück in bevorzugter Lage in einer kleinen Ortschaft im nördlichen

Askanien, dessen nebenberuflicher Bürgermeister Weißglut im Hauptberuf Staatsanwalt in

Filzbeck war. Weißglut war u. a. durch eine mißgünstige – aber erfolglose -

Konkurrentenklage zur Ermöglichung der eigenen Beförderung bekannt geworden und durch

das Ausheben eines Puschenpuffs in Filzbeck-Hudekamp. Seinen Spitznamen hatte er von

den dortigen Zuhältern, die ihn zur “Weißglut” gebracht hatten.

In seiner eigentlichen Heimatgemeinde im Askanischen war Siggi auch Mitglied in dem

traditionsreichen Turn-, Sport- und Tennisverein “Sankt Florian”. Die sonst sehr häufig

zerstrittene Mitgliederschar dieses Clubs war sich jedoch in einem Punkt einig:

“Siggi ist der größte Unsympath des Vereins!”

Eins mußte man Siggi allerdings lassen, er war ein Meister der Akquise. So nennen die

Anwälte den Kernbereich ihrer Tätigkeit, nämlich das Ankobern von Mandanten. Dieses von

dem Wort “Akquisition” entlehnte Kürzel wird als charmante Umschreibung benutzt, da der

Anwaltschaft ja kraft Berufs- und Standesrecht bisher Werbung im klassischen Sinne

untersagt war.

Schon zu Beginn seiner Anwaltslaufbahn zog Siggi viele gewerbliche und zahlungskräftige

Mandanten an Land. Zum ersten Mal in die Schlagzeilen geriet er im Zusammenhang mit der

von ihm vertretenen Baufirma Tupolev. Diese Firma geriet in den Verdacht unsauberer und

sogar strafbarer Geschäftspraktiken. Staatsanwalt Glatze, der späterhin zum Landgericht

flüchtete, erwirkte einen Durchsuchungsbeschluß und ließ die Geschäftsunterlagen der Firma

Tupolev mehr oder weniger vollständig abräumen. Die Firma ging dann Pleite, und Siggi

stellte sich auf den Standpunkt, Glatze sei mit seinen Radikalmethoden schuld daran. Das

Grundgesetz und das Bürgerliche Gesetzbuch sehen insoweit eine Haftung der

Anstellungskörperschaft für den Beamten vor. Dies focht Siggi jedoch nicht an und er

verklagte Glatze persönlich auf etwa 3 Mio. Schadenersatz. Nach Zustellung dieser

Klageschrift roch Glatze etwas merkwürdig, und zwar nicht nur nach Angstschweiß, er hatte

sich auch in die Hose gemacht. Der Geruch wurde noch strenger, als sein Dienstherr in

Sprottenhausen verlautbaren ließ, man sehe derzeit keine Veranlassung, ihm aus der Patsche

zu helfen. Das nennt man dann Erfüllung der Fürsorgepflicht.

Die ganze Arie ging jedoch mehr oder weniger wie das Hornberger Schießen aus. Da die Gesellschafter

der “Tupolev” Siggi nicht vergüten konnten, nahm er eines ihrer Häuser in

Zahlung und dieses oder ein anderes Objekt landete dann irgendwann später bei einem

Vorsitzenden Richter des Landgerichts aus dem Ambassador-Club, welcher lange Jahre der

unter den Anwälten als “Gruselkabinett” verschrienen 5. Zivilkammer vorsaß. Seine Beisitzer

waren Ogilvi und der später wegen alkoholbedingter Arbeitsunlust frühpensionierte

Fürchtegott Persico.

Auch in der Politik machte Siggi schnell Karriere, weil er ja in die richtige Partei eingetreten

war. Er wurde Wirtschaftsdezernent, Wohnungsdezernent und Fraktionsführer im Stadtparlament.

Wenn Politiker sich zu sicher fühlen, werden sie größenwahnsinnig. So ging es auch Siggi.

So war es z. B. stadtbekannt, daß Siggi in Filzbeck überhaupt keine kommunalpolitischen

Ämter bekleiden durfte, weil er nämlich im Landkreis Askanien mit Frau und Kindern

wohnhaft war. Über solche “läppischen” Bestimmungen der Gemeindeordnung setzte sich

Siggi mit dem eleganten Trick hinweg, indem er eine Art Besenkammer in seiner Filzbecker

Anwaltskanzlei zu seinem Hauptwohnsitz erklärte.

Auch sonst verquickte Siggi Anwaltsgeschäft und Politik geradezu unanständig. Zu seiner

Edelmandantschaft zählte die alteingesessene Industriellenfamilie Neuengamme, für die

Wolfs Großmutter schon im ersten Weltkrieg Granatenkartuschen gedreht und Gasmasken

zusammengesetzt hatte, weil ihr Mann in Frankreich kämpfte und fiel und sie Wolfs 1913

geborenen Vater durchbringen mußte. Das Betriebsgelände der Firma Neuengamme wird von

der Drosselstraße durchschnitten, einer stark befahrenen Verbindung zur inneren Filzbecker

Ringstraße. Im Rahmen seiner kommunal- und parteipolitischen Tätigkeit ließ er -

einschließlich entsprechender Verlautbarungen in den Filzbecker Nachrichten - keine

Gelegenheit aus, die Sperrung bzw. ersatzlose Einziehung der Straße zu fordern, die angeblich

die wirtschaftliche Entwicklung der Neuengamme-Werke so stark behindere. In seiner

Eigenschaft als Wirtschaftsdezernent richtete Siggi sogar an die SPD-Landesregierung den

dringenden Appell, “alles zu tun”, um für die Neuengamme-Werke eine Lösung des

Drosselstraßen-Problems voranzutreiben. Das für die Filzbecker Bürger dabei drohende

Verkehrschaos war ihm dabei völlig schnurzpiepegal.

Während des “tausendjährigen Reiches” beschäftigten die Neuengamme-Werke nicht nur

Tausende von Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen zur Aufrüstung der großdeutschen

Wehrmacht, sondern versorgten auch die SS-Sanitätsdienstgrade in Auschwitz mit

speziellen Zyklon-B absorbierenden Gasmasken, die diese bei der industriellen

Massenvernichtung von Juden und Zigeunern anlegten.

Das Gasmaskengeschäft boomt auch 70 Jahre später noch phänomenal. Von 1986 – 1992

lieferten die Neuengamme-Werke rund 500.000 Atemschutzgeräte und Filter an Chomenis

Gotteskrieger. Die gleiche Menge verkauften die Filzbecker Großindustriellen an den

Kriegsgegner Irak.

Auch wenn es um die Beförderung der Interessen seiner Anwalts- und Notarskanzlei durch

Honorare aus der Staatskasse ging, war Siggi weder hanseatisch, noch zimperlich. Daß die

Stadt, wie jede Gebietskörperschaft, ohne die gelegentliche Inanspruchnahme von Anwälten

und Notaren nicht auskommt, ist unbestritten. Auch ist nicht zu beanstanden, daß die Mandate

auf die Kanzleien verteilt werden, die sich auf der anderen Seite verpflichten, nicht gegen die

Stadt zu prozessieren.

Keinen guten Eindruck machte es jedoch, als Siggi als Chef des Amtes für Wohnungswesen

ein umfangreiches Grundstücksgeschäft einfädelte, was dann von seinem Sozius für 86.000

DM Honorar beurkundet wurde.

Vor 100 Jahren wäre Siggi dafür noch in den Stadtgraben geflogen. Aber auch 1992 rümpfte

man darüber noch die Nase und die SPD-Fraktion im Stadtparlament legte natürlich den

Finger in die offene Wunde und bohrte nach. Das Rechtsamt fand heraus, daß Siggis Kanzlei

in der jüngeren Vergangenheit insgesamt 150.000 DM aus dem Stadtsäckel erhalten habe.

Jede Kritik, insbesondere der SPD-Fraktion, wies Siggi entschieden zurück und die

Retourekutsche galt dem roten Fraktionsführer Slibowitz, dem Siggi eine 20 %ige

Stundenermäßigung als Gymnasiallehrer vorwarf, die den Steuerzahler immerhin monatlich

1.000 DM koste, was Siggi eben auf andere Weise hereinbringen müsse.

Der nächste Fehltritt brach Siggi allerdings das Genick.

Siggi geriet in Hader mit seinem Parteifreund Himmelblau, der ihn angeblich unter Druck gesetzt

haben sollte, wenn er, bzw. seine Parteifreunde, nicht für entsprechende Inserate in seinem

Anzeigenblatt sorgen sollten. Zum Beweise für die angebliche versuchte Erpressung bezog

sich Siggi auf eine dubiose Aktennotiz, die erst ein Jahr nach der Besprechung niedergeschrieben

worden war. Himmelblau sollte angedroht haben, Amtsträger durch negative Berichterstattung

gefügig machen zu wollen. Siggi nutzte seine Beziehungen zu den “Filzbecker

Nachrichten” und fand eine willige Redakteurin, die mit ihm zusammen eine Attacke gegen

Himmelblau ritt, was dann auch staatsanwaltschaftliche Ermittlungen nach sich zog. Das Ding

ging fürchterlich nach hinten los. Die CDU-Fraktion war stocksauer und ein fürchterliches

Gewitter entlud sich über dem sonst chronisch emotionslosen Fischkopp.

In der nächsten Ausgabe seines Anzeigenblattes trat Himmelblau noch kräftig nach. Siggi, der

Politiker mit dem schütteren Lockenkranz und der Unschuldsmiene, habe allein gegen alle

den Mythos des einsamen Tapferen zelebriert. Himmelblau fragte, ob Siggi nicht nur ein

Schwadroneur, sondern auch ein Mythomane oder sogar ein cleverer Lügenbold sei.

Unabhängig davon, ob Siggi noch in der Lage gewesen wäre, seinen peinlich-schnodderigen

Ton abzulegen; er hatte den politischen Kardinalfehler begangen und sowohl seine

Machtposition, als auch die Leidensfähigkeit seiner Fraktionskollegen überschätzt. Nun blieb

ihm nur noch ein abartiger Hang zum Untergang.

“Geschichte ist der immerwährende Kampf zwischen den Rechten des Individuums und den

Intrigen jener, die von Habgier und Machtlust besessen sind.”

Ezra Pound, einer der bedeutendsten amerikanischen Dichter des 20. Jahrhunderts

Aber auch sein Abtritt von der politischen Bühne war von Unwahrhaftigkeit gezeichnet. Ausschließlich

familiäre Gründe und berufliche Überbeanspruchung nannte er für seinen

schlagartigen und vollständigen Rückzug, dabei hatte er ganz schlicht und ergreifend das

Vertrauen der Mehrheit seiner Fraktion verloren, weil er sich für den zweiten Sonnenkönig

hielt. Das Ende seiner politischen Karriere im August 1993 absolvierte er mit versteinerter

Miene; wollte er doch so gerne auch einmal Bürgermeister werden. Diese von zerfressendem

Ehrgeiz gesteuerte Lebensplanung hatte er allerdings mit Slibowitz gemeinsam, dem es

orgastische Freuden bereitete, wenn er im heißesten Hochsommer auf dem Sessel des

Verwaltungschefs Platz nehmen durfte, währenddessen Mario und Rosi Amaretto sich in

Sizilien, Kalabrien oder Neapel einen Kubalibre nach dem anderen genehmigten.

Ganz wollte sich Siggi dann doch nicht aus der kommunalen Politik bzw. Wirtschaft

verabschieden. Soweit er den Posten des Aufsichtsratsvorsitzenden des städtischen

Koordinierungs-Büros inne hatte, welches u. a. alle maßgeblichen Grundstücksgeschäfte der

Stadt abwickelte, war immer wieder die Frage zu hören, ob man dabei nicht den Bock zum

Gärtner gemacht habe.

Im nachhinein hätte sich Siggi in den Hintern beißen können, seine politische Karriere wegen

lumpiger 150.000 DM Honorar aus dem Stadtsäckel in den Sand gesetzt zu haben. Hatte doch

Kollege Schnabelzahn den genügend skrupellosen Anwälten den “legalen” Weg zu

Wohlstand und Reichtum gewiesen. Auch über Siggi ergoß sich das prall bestückte Füllhorn

der Vormundschaftsabteilung, als er von einem seiner Pflegebefohlenen ein Hausgrundstück

in der Parchimstraße im Werte von 600.000 DM erbte.

PS: Filzbecks Auguren erwiesen sich als wahre Propheten. Die Katze kann das Mausen halt

nicht lassen. Selbstverständlich wurde folgender Leserbrief aus Wolfs penetrant respektloser

Feder von dem Springer-Meinungsmonopol der “Filzbecker-Nachrichten” nicht abgedruckt:

“Es scheint schon in Vergessenheit geraten zu sein, daß ein gewisser Dr. Siggi Fischkopp

(CDU) früher einmal Bürgermeister dieser Stadt werden wollte und ein wesentlicher Faktor

für das Ende seiner Karriere der Umstand war, daß er seiner Sozietät Beurkundungsaufträge

im Umfang von etwa 150.000 DM zugeschanzt hatte. Als er dann doch noch (als

Trostpflaster?) Aufsichtsratsvorsitzender des städtischen Koordinierungsbüros wurde,

unkten viele Filzbecker (völlig zu recht, wie sich jetzt herausgestellt hat), damit habe man

wohl den Bock zum Gärtner gemacht. Sein Geschäftsführer Isnogud (SPD), dessen

Vorfahren ihr Geld noch mit Glaskugel, Kaffeesatz und Hokuspokus verdienten, wird

Staatssekretär, obwohl ihm in Filzbeck fristlos hätte gekündigt werden müssen. Die

Staatsanwaltschaft findet anläßlich einer Durchsuchung ihren eigenen Bericht für den

internen Dienstgebrauch der Justizverwaltung. Sein Minister hat ihm den gesteckt. Der

Generalstaatsanwalt ist darüber zu recht sehr befremdet. Dr. Fischkopp verweigert die

Aussage, weil er Aufsichtsratsvorsitzender und Notar in Personalunion war.

Selbstverständlich dürfen sich weder Geschäftsführung, noch Aufsichtsrat in Loyalitätsoder

Interessenkollisionen bringen. Deshalb durfte Dr. Fischkopp als

Aufsichtsratsvorsitzender selbstverständlich keine Verträge beurkunden, die ihm als Notar

eine Schweigepflicht über Tatsachen auferlegen, die er im Interesse seiner Gesellschaft

offenbaren müßte. Es herrschen Zustände wie zu Barschels Zeiten. Der Außenstehende

wundert sich allerdings, warum Dr. Fischkopp (CDU) und Isnogud (SPD) so gut harmoniert

haben. Die Antwort ist banal: Fischkopp ist Rotarier und Isnogud im Lions-Club,

Vereinigungen von “chronisch unschuldigen Gesetzlosen”.

“Nicht die Politik verdirbt den Charakter, sondern ein verdorbener Charakter verdirbt die

Politik.”

Julius Raab (1891 – 1964, österreichischer Politiker)