Dr. Konrad Henkel
(1915 – 1999) Rotarier
Walter Scheel Rotarier
Der Contergan-Prozeß – Rücksichtslosigkeit und Frechheit werden belohnt
Wer die neuesten Dokumentationen des Thalidomid-Opfers Catia Monser („Contergan/Thalidomid: Ein Unglück kommt selten allein“, Eggcup Verlag 1993) und des investigativ arbeitenden Journalisten Gero Gemballa („Der dreifache Skandal - 30 Jahre nach Contergan“, Luchterhand-Verlag, Hamburg 1993) studiert, begreift, welche perfiden Wege die bundesdeutsche Justiz geht, Rechtsbrechern eine Tür zu öffnen, um straffrei ausgehen zu können. „Contergan“ ist auch nach 30 Jahren in der Bevölkerung noch in Erinnerung, viele können, ungewöhnlich genug, etwas mit diesem Begriff, Synonym auch des Scheiterns der Justiz vor der übermächtigen Industrie, etwas anfangen. Es ist der Markenname eines Konsumgutes, das Tausende von Menschen zu Behinderten machte und eine unbekannte Anzahl von Fehl- und Totgeburten auslöste. Bei der ganzen Aufarbeitung des Pharmaskandals, der untrennbar auch in Zukunft mit dem Pharma-Riesen ‚Chemie Grünenthal’ verbunden sein wird, wurde ganz einfach vergessen, daß es sich im Großen und Ganzen nur um einen Verkaufsschlager handelte, ein völlig entbehrliches, nicht notwendiges Mittelchen für Menschen, insbesondere eben Frauen, die Schlafprobleme hatten. U.a. diese Überflüssigkeit bzw. Unwesentlichkeit gab neben den fehlenden vollständigen Überprüfungsunterlagen den Ausschlag, daß dieser Kelch, zumindest was die Verbreitung in der Bevölkerung angeht, z.B. an der ehemaligen DDR vorbeiging. Aber auch die USA ließen den Wirkstoff nicht zu, und was vollkommen in der Diskussion unter den Tisch fiel: Ein türkischer Wissenschaftler wies an Gewebekulturen die Schädlichkeit des Wirkstoffes Thalidomid nach, während die Pharmafirma nach eigenen Bekundungen 3000 Tiere für diesen Schadstoff um die Ecke brachte - ohne Ergebnis. Der Contergan-Skandal ist auch ein beredtes Beispiel dafür, daß die wissenschaftliche Hypothese, der Tierversuch würde die Risiken von Wirkstoffen ausreichend zutage treten lassen, eine von unabhängigen Wissenschaftlern und Tierschutzverbänden seit Jahrzehnten mit immer wieder neuen Beweisen widerlegte Theorie ist. Nicht umsonst sind seither Tausende im Tierversuch getestete Arzneimittel wieder vom Markt genommen worden aufgrund ihrer teilweise herben Schadwirkungen auf den homo sapiens. Und er ist einmal mehr Beweis dafür, daß mit dem Tierversuch manipuliert werden kann, nämlich um die Markteinführung von im wesentlichen völlig überflüssigen Arzneimitteln als Konsumgütern „hinzubiegen“. Die Signale, die von diesem nach dem Berliner „Schmücker“-Prozeß längsten Strafverfahren in der Geschichte der bundesdeutschen Rechtsmitteljustiz ausgingen, waren eben verheerend, der Industrie wurde demonstriert, mit welchen Methoden man sich der Strafverfolgung entziehen bzw. wie man sich freikaufen kann - bis zu aktuellen (1994, d.B.) Großverfahren (co op-Prozeß, Imhausen-Libyen-Giftgasgeschäft, Holzschutzmittel-Prozeß, Neue Heimat, Parteispenden-affäre etc.) eindrücklich nachzuvollziehen. Da werden die §§ 153,153a, 154 StPO bis zur offenen Rechtsbeugung und Strafvereitelung pervertiert, schon jeder dritte Strafprozeß, insbesondere im Bereich der „White-Collar“- Kriminalität (Wirtschaftskriminalität), wird im „Verhandlungswege“ beendet.
„Zudem kann
sozusagen subtrahiert werden. Eine einmal große Schuld wird immer geringer, je
länger sich ein Angeklagter einem Strafprozeß aussetzt und je mehr er
auszugeben bereit ist, um den Schaden zu lindern. Die Verzögerungstaktik der
Verteidigung hat so einen unerwarteten positiven Nebeneffekt.“ (Gemballa 1993)
Genau diese weit über die Schmerzgrenze von Seriosität und standesrechtlichem
„Anstand“ hinausgehende Verteidigung der Angeklagten von ‚Chemie Grünenthal’
führte dann zu den mitleidserregenden Ausführungen der 1. Großen Strafkammer
des Landgerichts Aachen am 18.12.1970 für die ach so wehleidigen, bestens
situierten Angeklagten: „Hier fällt in besonderem Maße ins Gewicht, daß die
Angeklagten, die nicht vorbestraft sind in ihrem bisherigen Leben und sich in
die soziale und gesellschaftliche Ordnung eingefügt hatten, seit nunmehr 9
Jahren unter Strafverfolgung stehen. Schon das ungewöhnlich lange
Ermittlungsverfahren von 6 1/2 Jahren stellte für die Angeklagten eine erhebliche
Belastung dar. Das gilt in noch viel stärkerem Maße von der außergewöhnlich
langen Hauptverhandlung. Diese ist mit 2 1/2 Jahren Dauer die längste der
deutschen Rechtsgeschichte gewesen. Allein das zeugt davon, daß die Angeklagten
Belastungen ausgesetzt waren, die mit den Maßstäben eines normalen
Strafverfahrens nicht gemessen werden können.“
Langes Ermittlungsverfahren?
Wer hat denn mit allen Mitteln versucht, die bekanntgewordenen scheußlichen
Nebenwirkungen des Contergans „unter der Decke zu halten“? Wer hat denn Akten
verschwinden lassen? Wer hat denn so erheblichen Druck ausgeübt, daß der
außerordentlich engagierte Staatsanwalt Dr. Havertz behindert wurde? War nicht
der oberste Chef Havertz', der spätere (jüdische, d.B.) NRW-Justizminister
Dr. Neuberger, in der Anfangsphase für einen der Angeklagten tätig, blieb nicht
seine Anwaltskanzlei weiterhin als Verteidiger und Scharfmacher gegen
Staatsanwalt Dr. Havertz im Prozeß? Wo sind wir hier eigentlich, daß
diejenigen, die die Ursachen selbst setzen, vorsätzlich und bewußt, hierfür
noch bemitleidet werden? Und wer hat mit ständig neuen „präsenten“ Gutachtern,
die teilweise aus dem Ausland kamen und zur eigentlich zur Debatte stehenden
Sachlage nichts Konkretes beisteuern konnten, den Prozeß in die Länge gezogen?
Wer hat mit Unter-Druck-Setzung von Gutachtern etc. gearbeitet? Wer hat über
Verhandlungen mit dem Vorsitzenden Richter, an der Staatsanwaltschaft vorbei,
den Ablauf des Verfahrens für sich entschieden? Wer hat eine immense Desinformationskampagne
teils über gekaufte Journalisten mit extra angemieteten Büros gestartet? Und
hat einer von diesen tatsächlich an die Opfer gedacht? Nichts haben sie, miese
kleine Egoisten, nur an ihrem eigenen Fortkommen interessiert, wie die
Einstellungsverfügung des Landgerichts Aachen vom 18.12.1970 weiter ausführt:
„Die persönliche Lage der Angeklagten erschwerte es ihnen noch, mit dieser
nicht einfachen Situation fertig zu werden. Sie standen zusätzlich zu den
schon aufgezeigten Schwierigkeiten in einem unvermeidlichen, von der
Rechtsordnung hingenommenen Interessenkonflikt zwischen den Geboten
wissenschaftlicher Gründlichkeit und ärztlicher Verantwortung einerseits sowie
einem an sich durchaus legitimen und sogar wirtschaftlich notwendigen
Gewinnstreben andererseits und sahen sich zudem durch die besonderen inneren
Verhältnisse bei der Firma Chemie Grünenthal behindert. Soweit die Angeklagten
Kaufleute sind, war ihnen naturgemäß in erster Linie die Wahrnehmung der
wirtschaftlichen Interessen des Unternehmens übertragen. Hinzu kam eine durch
den beruflichen Werdegang bedingte enge Bindung gerade an diese Firma und
damit die Gefahr einer Einengung des Gesichtskreises. Die Versuchung, die
vermeintlichen Interessen des Unternehmens gegenüber den Bedenken von meist
nachgeordneten Mitarbeitern mit ganz anderer und weitergehender Ausbildung
durchzusetzen, war groß. (...) Der Kampf um eine angemessene Position
verlangte die nachdrückliche Förderung der kaufmännischen Unternehmensziele.“
Besser könnte man die niederen Beweggründe, die strafrechtlich immer besonders
ins Gewicht fallen, nicht umschreiben. Man vermarktete rücksichtslos einen
gefährlichen Konsumartikel, schlug die schon bald eintreffenden Warnungen und
Mahnungen in den Wind, setzte nach diesen sogar noch positive, verklärende
Werbesendungen drauf und versuchte mit Drohungen, z.B. gegenüber dem vor
Thalidomid warnenden Wissenschaftler Prof. Lenz, eine Verbreitung dieser
Warnungen in der Öffentlichkeit zu verhindern.
Einmal ertappt,
wurde alles Erdenkliche in Bewegung gesetzt, um die Ermittlungen zu behindern,
zu verzögern, die Staatsanwälte, allen voran Dr. Havertz, madig zu machen und
unter Druck zu setzen, Persilscheine vorzulegen, um ja nicht öffentlich
angeklagt zu werden. Die Opfer selbst traten bei diesen verfilzten Rangeleien
zurück (um den vorbildlich arbeitenden Sonderstaatsanwalt Dr. Havertz zog sich
ein richtiges Netz von Verflechtungen zusammen, dazu gehörten dann auch seine
beiden Staatsanwaltskollegen Dr. Günther (heute: Staatsanwaltschaft Aachen,
...) und Knipfer (heute: Staatsanwaltschaft Düsseldorf), die Havertz mit aller
Macht davon überzeugen wollten, das Verfahren in jämmerlichster Form nach §
153 StPO zu beenden), längst bestimmten die Angeklagten und ihre Verteidiger,
darunter auch ein Vorbelasteter aus der Nazi-Zeit, den Verlauf des Prozesses.
Und hier kam auch heraus, was beständig in vielen Druckwerken, auch in anderen
Kapiteln dieses Buches, immer wieder hervorgehoben werden muß: Das jämmerliche
Versagen von Verwaltungs-, hier der Gesundheitsbehörden und der
Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, für diese Aufgaben von der
Gesellschaft eingerichtet und von dieser, auch von den Contergan-Opfern,
bezahlt: „Auch die zuständigen Gesundheitsbehörden des Bundes und der Länder
haben es gegenüber den Angeklagten an dem nötigen Nachdruck fehlen lassen.
(...) Doch ist das Verhalten der Behörden sicherlich auch von einer gewissen
Unentschlossenheit und allzu großem Zögern geprägt. Selbst als sich einzelne
Länder schließlich dazu durchgerungen hatten, die Rezeptpflicht einzuführen,
hielten es andere Länder immer noch nicht für nötig, entsprechend zu verfahren.
Allzu großes Zögern kennzeichnet auch das Verhalten der Arzneimittelkommission
der deutschen Ärzteschaft. Zwar mag auch sie durch die Firma Chemie-Grünenthal
über die mit Contergan zusammenhängenden Fragen nicht vollständig informiert
gewesen sein; dennoch hat sie teilweise unverständlich zaghaft reagiert.“ (LG
Aachen vom 18.12.1970)
Chemie Grünenthal bot dann
irgendwann Geld an, wie dies alle Krösusse tun, man will sich freikaufen. 110
Millionen DM für die Contergan-Opfer, mit der Verpflichtung, keinerlei
Rechtsansprüche mehr nach dieser Einmalzahlung anzumelden, und das
Versprechen, auch für die Gerichts- und Nebenklägerkosten aufzukommen.
Treuhänder wurden eingesetzt, doch das paßte der Bundesregierung nicht und man
„annektierte“ kurzerhand das Geld, um es in ein ‚Hilfswerk für behinderte
Kinder’ einzubringen, eine durchaus lobenswerte Einrichtung, allerdings mit
Schönheitsfehlern. So war keine Dynamisierung vorgesehen, es wurden nur Renten
angesetzt, obwohl die Lebenserwartung nicht klar war (spekulierte man in
Wahrheit nicht mit einem schnellen Dahinsterben der Contergan-Kinder?) und eine
Erhöhung konnte nur durch die Androhung einer Massendemonstration von
Contergan-Opfern in Bonn durchgesetzt werden. Auch standen die vom Chemie
Grünenthal abgetrotzten Gelder allen Behinderten zur Verfügung, nicht nur den
Contergan-Opfern.
Und
auch ein weiteres Problem wurde juristisch in bester Tradition einer
Unrechtsjustiz „gelöst“. Keinem war klar, welche Folgeschäden noch auftreten
würden, Grünenthal hatte sich von allen diesen freigekauft, mit Wissen und
Wollen der Behörden, der Regierung, der Gerichte, eines Großteils der
Contergan-Geschädigten, insbesondere des konservativen 'Bundesverbandes
Contergan-Geschädigter e.V.' (Gegner dieses großangelegten Betrugsvorganges,
die sich selbst Conti(s) nannten, wurden als Querulanten abgestempelt und ausgegrenzt).
Ein hier von einem Conti Mitte der 80er Jahre angestrengter Zivilprozeß am
Gerichtsstandort Köln (...) endete wie abgesprochen - nämlich gegen den
schwerst Contergan-geschädigten Kläger und für Chemie Grünenthal, obwohl, wie
später sogar in einer juristischen Dissertation hervorgehoben wurde, „eine
wahre Tatsache im Sinne des Betrugstatbestandes unterdrückt“ worden war, denn
die Garantieerklärung Grünenthals gegenüber der Bundesregierung, ein
entscheidendes Dokument, lag nie in vollständiger Form vor, dennoch verlor der
Conti trotz dieses Prozeßbetruges der Gegenseite. „Recht im moralischen Sinn
(existiert) absolut nicht. Ein solches Recht existiert nicht für Geschädigte.
Das ist meine Erfahrung nach 40 Jahren in Gerichtssälen.“ (Staranwalt Henning
Sjöström, zit. nach Gero Gemballa: „Der dreifache Skandal - 30 Jahre nach
Contergan“, Hamburg 1993)
Und wie beendete
die Justiz nun das größte Strafverfahren in der Rechtsgeschichte Deutschlands,
auch heute noch, gegen durchgängig führende Angestellte und Mediziner des Pharmakonzerns
Grünenthal, fast alle akademisch gebildet, wegen Körperverletzung in Tausenden
von Fällen, mindestens fahrlässig begangen? Genau so, wie es nur sein darf,
nach § 153 StPO wegen Geringfügigkeit und mangelnden öffentlichen Interesses an
der weiteren Strafverfolgung, natürlich rechtzeitig zum Weihnachtsfest 1970,
welches die verabscheuungswürdig verwerflich handelnden Angeklagten und
strafrechtlich durch die § 153-Einstellung Unbescholtenen dann unbeschwert
feiern konnten - die Opfer ihrer grenzenlosen Sucht nach Profit und
„pharma-wissenschaftlicher“ Reputation nicht. Die vorgeschobenen juristischen
Sophistiken, nämlich das Drohen der Verjährung, verfängt nicht, denn das
Verfahren hätte vom Gericht viel zügiger durchgezogen werden können, hätte es
sich nicht auf die Strategie der Verteidigung eingelassen (der Vorsitzende
Richter Dr. Weber traf sich mit den Angeklagten, legte eine einer zügigen
Behandlungsweise entgegen dem Vorschlag der Staatsanwaltschaft ungünstige
Verfahrensweise fest, nahm zunächst die fast 1000 Seiten umfassende
Anklageschrift von Dr. Havertz nicht an, Richter Meister schied wegen
Befangenheit aus, da er sich mit einem Anwalt der Angeklagten heimlich
getroffen hatte, einer der Verteidiger war Ausbilder des Vorsitzenden Richters
usw. usw.). Das Contergan-Verfahren setzte die Eckpunkte von
Wirtschaftskriminalität, die nicht bewältigbar ist von Juristen, die
rückgratlos und egoistisch ihren Job machen. Die strafrechtliche
Sanktionslosigkeit schwerster Delikte wie Körperverletzung u.a., die wohlwollende
Haltung des Gerichts, der Bundesregierung und der Behörden gegenüber den
Angeklagten, gestandene Vertreter des deutschen Wirtschaftswunders nach dem
Motto „Koste was es wolle - wenn wir hobeln, fallen auch Späne“ hat aufrechten
Demokraten, die für den verfassungsrechtlich garantierten Rechtsstaat stehen,
den Boden unter den Füßen weggezogen, zumal Friedensdemonstranten über einen
Zeitraum von 8 Jahren von der Justiz schikaniert werden (Mutlangen-Blockierer,
Vorwurf: Nötigung), andere wegen Bagetelldelikten vor den Kadi gebracht und
verurteilt werden. Grünenthal hat ohnehin nicht dazugelernt, der Konzern
vertreibt weiterhin umstrittene Arzneimittel weltweit und ist hoch engagiert
im Gentechnik-Bereich.
Und Nachahmer findet dieses Verfahren auch:
Ein Strafverfahren wegen fahrlässiger Körperverletzung gegen die Pharmafirma
MADAUS aufgrund des Vertriebes des Skandalmittels ‚Cronassial’ wurde von den
Strafverfolgungsbehörden in Köln eingestellt - wegen geringer Schuld und
mangelnden öffentlichen Interesses, § 153a StPO, eine Geldbuße von DM
900.000,- reichte aus, obwohl in widerlichster Art und Weise einige der
schwerst geschädigten Opfer von einem extra für diese schmutzige Tätigkeit von
MADAUS abgestellten „Vertreter“ unter Druck gesetzt wurden. Und Prof. Bernbeck,
bekanntester Hamburger Kunstfehler-Spezialist, wurde zu einer Geldstrafe von DM
7000,- „verknackt“ - für über 250 Opfer, von ihnen spielten jedoch nur wenige
in dem Strafverfahren eine Rolle.
„Die Contergansache ist noch längst nicht
abgeschlossen. Contergan und seine Umstände sind nicht nur Beispiele für das
Verbrechen im großen Stil. Die Beschäftigung mit diesem Pharmazieskandal
offenbart einem die erbärmliche Natur des kriminellen Opportunisten, der, nur
auf seinen Vorteil bedacht, Amt und Würden mißbraucht und andere ins Unglück
stürzt. Auch klärt sich einem der Blick für die möglichen Auswirkungen und
Folgen gewinnsüchtigen Verhaltens. Contergan ist mehr als nur ein Verbrechen
und die Befleckung der Justiz.“ (Nachwort des Contis und Klägers gegen Chemie
Grünenthal, Andreas Meyer, in: Catia Monser: „Contergan/Thalidomid: Ein Unglück
kommt selten allein“, Eggcup Verlag Düsseldorf 1993).
Aachener Firma vertreibt Contergan-Stoff an WHO
Hamburg (dpa) - Schwangere in ärmeren
Ländern erhalten einem Bericht der „Bild am Sonntag“ zufolge den
Contergan-Wirkstoff Thalidomid. Wie die Bundesregierung der
SPD-Bundestagsabgeordneten Ulla Schmidt bestätigte, wird bei der Firma
Grünenthal in Aachen weiterhin Thalidomid hergestellt und kostenlos an die
Weltgesundheitsorganisation WHO abgegeben. Den Angaben zufolge leben in
brasilianischen Slums bereits wieder Dutzende Kinder, die ähnliche Verkrüppelungen
aufweisen wie Neugeborene zu Beginn der 60er Jahre in Deutschland. (Schweriner
Volkszeitung vom 11.7.1994)
Quelle: „Bundesdeutsche
(Justiz-) Behörden – eine kriminelle Vereinigung?“ von Edmund Haferbeck, Schwerin 1994, S. 85 –
92
Anmerkung: Zum gleichen
Thema wird auf den nachfolgenden Beitrag „Rotarier Dr. K. Henkel“ hingewiesen.
Hans-Joachim Ehlers: Dr. Plichta, Ihr jüngstes Buch »Das Primzahlkreuz Band III - die 4 Pole der Ewigkeit« kommt mir wie eine Zeitbombe vor, was das Haus Henkel anbetrifft. Sollte es noch mutige Staatsanwälte in Deutschland geben, müßte es in Düsseldorf eigentlich bald krachen. Denn was Sie speziell zum Contergan-Skandal und die bis heute unbekannten Hintergründe schreiben, ist schier unglaublich. Dagegen ist eine Bananen-Republik ein mustergültiger Rechtsstaat. Konrad Henkel, so schreiben Sie, der mit dem Contergan-Hersteller Grünenthal gar nichts zu tun hatte, wollte damals auf Biegen und Brechen verhindern, daß ein privater Chemiekonzern (wie ja auch Henkel damals einer war) jemals zur Verantwortung für seine Produkte gezogen werden kann. Es durfte kein Präzedenzfall geschaffen werden. Was ihm dann ja auch aufgrund seines ungeheuren Macht-Einflusses gelungen ist. Dazu eine ganz simple Frage: Woher wissen Sie das alles oder wie läßt sich das verifizieren?
Dr. Peter Plichta: Bedingt durch meine schon damaligen Kenntnisse auf dem Gebiet der Pharmakologie, der organischen Chemie und der Juristerei habe ich halt etwas beobachtet, was mich verblüfft hat. Ich habe auch durch die Einheirat meines Bruders in die Henkel-Familie, die hinter der Vertuschung des Skandals steckt, dann natürlich interne Sachzusammenhänge erfahren, die ich eigentlich gar nicht wissen dürfte. Inzwischen habe ich soviel Wissen über die Hintergründe des Contergan-Skandals angesammelt, daß ich eigentlich nur darauf warte, daß mich das Haus Henkel wegen übler Nachrede oder sonst etwas verklagt, damit ich die Karten auf den Tisch legen kann. Meine Bücher sind juristische Dokumente, deswegen besteht die Henkel-Anweisung, nichts gegen mich zu unternehmen. Mir darf noch nicht einmal ein Unfall zustoßen. Die wollen das einfach aussitzen. Man hat im Fall Contergan einen entscheidenden Fehler gemacht. Der Fall war für immer im See versenkt, und niemand hat damit gerechnet, daß herauskommen würde, wie die Sache wirklich gelaufen ist. Alles hat damit begonnen, daß absurderweise nicht die Inhaber der Firma Grünenthal von der Staatsanwaltschaft angeklagt worden sind, sondern Mitarbeiter. So ist die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft ja auch im Fall Dr. K. F. Flick vorgegangen. Der hatte mit Millionenspenden an Politiker nur so um sich geworfen, aber angeklagt wurden u.a. sein Generalbevollmächtigter von Brauchitsch, ein viel zu kluger Industriemann für solch einen Unsinn. Auch im Falle Contergan hat man dafür gesorgt, daß in Aachen von vornherein die Falschen vor Gericht standen. Dabei wären die Inhaber mit einem Haufen gut bezahlter Rechtsanwälte mit milden Strafen für fahrlässige Körperverletzung davon gekommen.
Hans-Joachim Ehlers: Warum hat man das nicht gemacht ?
Dr. Peter Plichta: Zunächst einmal hätte aufgrund eines solchen Urteils eine Versicherung für den Schaden haften müssen, und dahinter wieder eine Rückversicherung. Doch genauso wie die chemische Industrie hat natürlich auch die Versicherungsbranche Interesse daran, nicht zahlen zu müssen. Und in meinem letzten Buch habe ich beschrieben, was Konrad Henkel dazu gebracht hat, in den Fall einzugreifen. Er hatte mit dem Fall ja direkt nichts zu tun, stand aber an der Spitze der chemischen und pharmazeutischen Privatindustrie und wollte deswegen nicht, daß es einen Präsidenzfall gibt. Dieser Mann ist von Natur aus eben machtgierig, der hat es von seinem Vater und von seinem Großvater geerbt und die haben gelehrt, Pannen durch Intrigen zu vertuschen. Im »Primzahlkreuz« Band I habe ich noch einigermaßen vorsichtig beschrieben, was ich beobachtet habe, und dadurch gewissermaßen auch eine Falle aufgebaut. Die Henkels haben sich zwar nach Lesen des ersten Bandes entsetzlich aufgeregt, aber mit Hilfe ihrer Düsseldorfer Beziehung die Sache zur Einstellung gebracht. Jetzt, mit der detaillierten Schilderung in Band III, ist die Falle zugeschnappt.
Hans-Joachim Ehlers: Das heißt also, belegen können Sie Ihre im Buch aufgestellten Behauptungen durch Wissen von Interna aus der Familie Henkel.
Dr. Peter Plichta: Meine Schwägerin, Dr. med. Christa Plichta, sitzt im Gesellschafterrat und vertritt einen Großteil der Familienaktien. Weiterhin kannte ich viele Beteiligte persönlich, so auch den Verteidiger der Firma Grünenthal, Dr. Dr. Neuberger, den späteren Justizminister von NRW, viele Jahre. Ich war durch mein nicht gerade einfaches Leben außerdem gezwungen, mich soweit nur irgend möglich, juristisch auszubilden. Als ich erfuhr, daß nicht gegen die geschäftsführenden Gesellschafter von Grünenthal Anklage erhoben werden sollte, sondern gegen Angestellte der Firma, war mir klar, daß hier Justiz, Politik und Wirtschaft miteinander mauschelten.
Hans-Joachim Ehlers: Damit die Sache klarer wird, sollte man vielleicht kurz einmal die wichtigsten Jahreszahlen in diesem Skandal rekapitulieren (siehe auch Kasten »Die Contergan-Story«, Anm. der Redaktion): Der Wirkstoff Thalidomid wird 1957 von Grünenthal-Forschern entdeckt. Schon wenig später erfolgt die Zulassung eines Medikaments namens Contergan mit dem Wirkstoff Thalidomid. Dieses Präparat wird fast zur Wunderdroge. 20 Millionen Pillen wurden pro Monat verkauft. Nachdem sich herausstellte, daß die »Wunderdroge« mit scheußlichen Nebenwirkungen verbunden war, wurde der Vertrieb am 27. November 1961 eingestellt und Ende Dezember 1961 wurde eine Ermittlungsakte angelegt. Das Hauptverfahren wurde jedoch erst am 18. Januar 1968, also sieben Jahre später, vor dem Landgericht Aachen eröffnet. Ich vermute mal, daß die »heiße Phase« für die Kulissenschieber in diesem Skandal zwischen 1961 und 1968 lag.
Dr. Peter Plichta: Ganz genau. Man hatte sich nämlich intern für die Variante Prozeßverschleppung entschieden. Dazu muß man ganz kurz die politische Landschaft in Nordrhein-Westfalen, deren Parteien im Landtag und die Regierung der damaligen Zeit betrachten, und man muß dazu wissen, daß in NRW ohne Henkel nichts geht. Auch heute nicht, wie Rüdiger Liedtke in seinem Buch: »Wem gehört die Welt« treffend formuliert hat. Zentrale Figur war ein gewisser Walter Scheel, seit 1953 im Bundestag. Er wurde 1956 Finanzminister von NRW. In Scheels Düsseldorfer Wohnung wurde 1956 eine Konspiration geplant, die noch im gleichen Jahr dazu führte, daß der amtierende Ministerpräsident Karl Arnold (CDU) durch ein Mißtrauensvotum gestürzt und der SPD-Mann Fritz Steinhoff zum neuen Ministerpräsidenten gewählt wurde. Der Aufstieg des späteren Bundespräsidenten Walter Scheel wurde durch Konrad Henkel lanciert. Diese Vorgeschichte muß man kennen, um die weiteren Abläufe besser zu verstehen.
Hans-Joachim Ehlers: Aber was hat das mit dem Contergan-Skandal zu tun?
Dr. Peter Plichta: Sehr viel, wie Sie gleich sehen werden. Denn, wie schon erwähnt, der Strafverteidiger des Hauses Grünenthal hieß Josef Neuberger aus der Anwaltskanzlei Dr. Dr. Neuberger und Dr. Pieck. Bereits 1963 stand für politische Insider fest, daß Neuberger Justizminister in NRW werden sollte. Er war der Favorit der Landtags-SPD und -FDP. Seit 1961/62 versuchte die renommierte Anwaltskanzlei, ihren Mandanten Grünenthal juristisch herauszupauken. Marschroute: Verschleppung. Es gelang auch, den Prozeßbeginn Jahr für Jahr hinauszuzögern. Die Figur Neuberger als Justizminister war in diesem Spiel schon gesetzt, da gewannen im Sommer 1966 jedoch erneut CDU und FDP die Mehrheit im NRW-Landtag. Aber Neuberger war ja SPD- Mitglied. Doch schon am 8. 12. 1966 wurde der damalige vom Volk gewählte Ministerpräsident Franz Meyers durch ein konstruktives Mißtrauensvotum gestürzt. Drahtzieher hinter den Kulissen war, wie 1956, Walter Scheel, der Intimus von Dr. Konrad Henkel. Jetzt konnte Neuberger Justizminister werden.
Hans-Joachim Ehlers: Das ist ja unglaublich!
Dr. Peter Plichta:
Das auch, vor allem aber war es verheerend für das Strafverfahren! Wo hat es
das schon jemals gegeben, daß der Strafverteidiger in einem laufenden Verfahren
plötzlich Justizminister und damit praktisch Herr über das Verfahren wird?
Vielleicht hat es damals keinen Aufschrei gegeben, weil Dr. Dr. Neuberger als
ehemalig verfolgter Jude tabu für jegliche Form von öffentlichen Angriffen war.
Um es ganz deutlich auszudrücken: Neuberger war Jude, und das haben die Henkels
gemein ausgenutzt.
Hans-Joachim Ehlers: Zu den Folgen dieses politischen Coups zitieren Sie ja in Ihrem Buch den damaligen Staatsanwalt Dr. Haverts wie folgt:
»Was soll ich Ihnen sagen, was ich damals erlebt
habe. Die Gegenseite hatte 40 Rechtsanwälte aufgeboten, die jeden Tag von neuem
Beweisanträge stellten. Ich war der einzige Staatsanwalt und bin in den Akten
fast erstickt. Und eines Tages war der Anführer von denen, der Neuberger,
plötzlich von heute auf morgen Justizminister und damit mein Dienstherr. Danach
wurde das alles noch schlimmer...«
Hier wurde also ein Strafprozess massivst politisch beeinflußt.
Dr. Peter Plichta: Ja, in geradezu unerträglicher Weise. Aber es geht noch weiter: Man hätte zwar jetzt in der neuen Konstellation mit Neuberger als Justizminister den Prozeß solange verschleppen können, bis er nach 10 Jahren endgültig verjährt war, fünf Jahre hatte man ja schon geschafft, aber dazu hatte der Contergan-Skandal die Menschen zu stark aufgewühlt. So dreist konnte man nicht agieren. Das war den Politikern in Düsseldorf und Bonn klar. Auch ein Deal mit der Justiz, großzügige Entschädigung der Opfer gegen Verfahrenseinstellung schied aus, weil das nach deutschem Recht eine Rechtsbeugung bedeutet hätte. Man mußte noch eine Etage höher, auf die Bundesebene.
Hans-Joachim Ehlers: Wie das ?
Dr. Peter Plichta: Bei einem Gerichtsvergleich gibt es keine Täter, und dann haftet auch keine Versicherung. Man brauchte also in Bonn ein neues Bundesgesetz, wonach Opfer aus Bundesmitteln zu entschädigen wären, also aus den Taschen der Steuerzahler.
Hans-Joachim Ehlers: Und wie sollte das gehen?
Dr. Peter Plichta: Ganz einfach. Konrad Henkel wußte, daß die SPD-Politiker 1966 vor lauter Sehnsucht nach politischer Führung alles machen würden, um an die Macht zu kommen. Ergo traten am 27. 10. 1966 die vier FDP-Bundesminister Mende, Bucher, Dahlgrün und Scheel geschlossen von ihren Posten zurück. Die CDU/FDP Koalition in Bonn platzte und die große Koalition CDU/SPD begann. Anführer dieses Kabinettstücks war auch diesmal Walter Scheel, der damit seinen Posten und sein Gehalt verlor. Er wurde natürlich im Gegenzug bis zum Beginn der SPD/ FDP-Regierung 1968, in der er Außenminister wurde, finanziell großzügig vom Hause Henkel unterstützt. 1971 wurde per Gesetz von der SPD/FDP-Regierung die »Stiftung Hilfswerk für das behinderte Kind« geschaffen und die Contergan-Geschädigten wurden von dieser Stiftung und nicht von der Firma Grünenthal entschädigt. Dazu sagt der Staatsanwalt Dr. Havert in einer Fernsehdokumentation auf die Frage, wie es denn möglich war, daß dieser Prozeß zehn Jahre lang verschleppt werden konnte, sinngemäß:
»Erst im letzten Jahr haben die mir zwei junge
Staatsanwälte zur Verfügung gestellt; und die haben mich hinter meinem Rücken
betrogen. Die haben nämlich den Nebenklägern eingeheizt, daß es nach Ablauf der
zehnjährigen Frist nichts mehr von Grünenthal zu holen gibt. Dadurch, daß die
Nebenkläger zu einem Vergleich gedrängt worden sind, haben sie auf alle ihre
Rechte verzichtet. Ohne Urteil gibt es keine Rechtsmittel. Ich habe sie
gewarnt, aber niemand hat auf mich gehört. Für die beiden jungen Staatsanwälte
jedenfalls hat sich die Sache gelohnt, der eine ist jetzt ganz oben beim BGH
und der andere Leitender Oberstaatsanwalt von Düsseldorf«.
Das Verfahren gegen Grünenthal wurde kurz vor Ablauf der
Verjährungsfrist mit der Zustimmung aller Prozeßbeteiligten »wegen
Geringfügigkeit« eingestellt. Konrad Henkel hatte es geschafft: Es gab keine
Schuldigen und damit keinen Präzedenzfall gegen einen Chemie- bzw.
Pharma-Konzern.
Hans-Joachim Ehlers: Und was wurde aus den Opfern?
Dr. Peter Plichta: Mit einem juristischen Bluff, dem gemeinsten in der deutschen Politik, wurde die bereits erwähnte Stiftung per Bundesgesetz geschaffen. Grünenthal hatte in zehn Jahren die Möglichkeit, 100 Millionen DM steuerfreie Rücklagen aufzubauen, die Bundesregierung gab noch 150 Millionen dazu und demonstrierte damit ihr Mitleid mit den Opfern. Diese Stiftung war allein zuständig für die Entschädigung, nicht die Firma Grünenthal. Da es kein Urteil gegeben hatte, gab es auch keine Rechtsmittel. Die enttäuschten Eltern lösten später zwar noch wahre Prozeßlawinen aus, aber außer waggonweise Gerichtsakten, ungeheuren Kosten und Leid blieb nichts übrig. Eine Entschädigung gab es nicht. Es gab nur eine Rente von maximal 850 DM monatlich.
Hans-Joachim Ehlers: Und damit hat die Chemie- und Pharma-Industrie dem Volk mal wieder demonstriert, wer in dieser Republik wirklich das Sagen hat, oder?
Dr. Peter Plichta: Das kann man so sehen. In diesem Fall besteht allerdings noch eine Chance auf Gerechtigkeit. Wenn nämlich auf den Verlauf eines Prozesses mit betrügerischen Mitteln Einfluß genommen wird, dann wird der Prozeß ungültig, wenn der Betrug erwiesen ist. Alle, die an diesem Prozeßbetrug beteiligt waren, haben sich strafbar gemacht. Prozeßbetrug verjährt nicht. Es war natürlich klar, daß die Millionen Rückstellung der Firma Grünenthal ja noch kein Grund waren, das Verfahren einzustellen. Man darf einen Strafprozeß nicht dadurch einstellen, daß der Verteidiger und der Staatsanwalt sich verbrüdern und sagen, wir sind eigentlich gegen eine Verurteilung - es sind ja Menschen getötet worden, das heißt, Richter dürften das Verfahren gar nicht einstellen. Um so ein Verfahren einstellen zu können, muß der Fall als minderschwer oder gar läppisch eingestuft werden, und das ist in der Tat ja verblüffenderweise auch geschehen.
Hans-Joachim Ehlers: Erläutern Sie bitte nach diesen unglaublichen juristischen Vorgängen auch einmal den chemischen Sachverhalt. Warum hat Thalidomid diese furchtbaren Nebenwirkungen und warum hat man die nicht rechtzeitig bemerkt?
Dr. Peter Plichta: Thalidomid ist eine räumliche chemische Verbindung, die in 2 stereochemischen Formen auftritt. Das bedeutet, die beiden Formen verhalten sich in ihrem räumlichen Bau zueinander wie unsere beiden Hände, bei denen ja bekanntlich bei der linken Hand der Daumen rechts steht, und bei der rechten Hand der Daumen nach links zeigt. Bei der chemischen Synthese von Contergan entsteht nun sowohl rechts- als auch linksbebautes Thalidomid. Ein Gemisch dieser beiden gespiegelten Formen nennt man Racemat. Pharmazeutisch gesehen war Contergan ein Derivat des bewährten Schlafmittels Doriden und hatte den großen Vorteil, daß man sich damit durch Überdosierung nicht umbringen konnte. Als leicht veränderter Abkömmling von Doriden war es zudem patentrechtlich geschützt, so daß man den Preis diktieren konnte. Da bereits Doriden als Racemat im Handel war, obwohl nur eine der beiden Komponenten biochemisch war, haben die Chemiker von Grünenthal den Metabolismus, also die Aufnahme und den Abbau von Thalidomid im Körper, gewissenhaft untersucht. Auch hier wirkte eben nur eine der Spiegelformen als Schlafmittel, die zweite Form schien keine Wirkung zu haben. Die in den 40er und 50er Jahren ausgebildeten Pharmazeuten und Ärzte haben von Stereochemie aus heutiger Sicht kaum Ahnung gehabt. Doriden wiederum ist ein Abkömmling der berühmt-berüchtigten chemischen Gruppe der Barbiturate. Bei diesen Schlafmitteln spielt die Stereochemie eine enorme Rolle, so daß es dort oft notwendig ist, eine der beiden molekularen Spiegelformen zu entfernen oder gar nicht erst entstehen zu lassen. Die wissenschaftlichen Leiter bei Grünenthal waren also vorgewarnt. Es gab natürlich die Möglichkeit, die psychotrope d.h. einschläfernde Form von Thalidomid in Reinform auf den Markt zu bringen. Das aber hätte zusätzliches Geld gekostet, und das ist nun mal etwas, worauf ein Chemiekonzern gerne verzichtet.
Das stereochemische Zwillingsmolekül Thalidomid, bei dem eins einschläfernd wirkt und das andere als Zellgift bei Föten. Die Moleküle hätten getrennt werden können. |
Hans-Joachim Ehlers: Sie wollen also darauf hinaus, daß bei diesem Wirkstoff die eine Spiegelform einschläfernd wirkt und nur die andere Form giftig ist und die übersehenen, schrecklichen Auswirkungen hat?
Dr. Peter Plichta: Genau. Es handelt sich also eigentlich nicht, wie in der Presse auch heute noch behauptet wird, um eine Nebenwirkung. Die für unwichtig gehaltene Spiegelform des Contergans, die zu 50 % in jeder Tablette enthalten war, besitzt auch eine Hauptwirkung, und zwar auf die Zellteilung des Lebens. Heute weiß man, daß es ein Zellteilungsgift ist, und deswegen wird dieses Zellteilungsgift sogar in der Pharmazeutischen Industrie wieder eingesetzt, nämlich bei Lepra.
Hans-Joachim Ehlers: Ja, das habe ich gelesen.
Dr. Peter Plichta: Also, kein Mensch hat auch nur geahnt, daß ein Stoff eine solche heimtückische Wirkung haben könnte.
Hans-Joachim Ehlers: Man war ahnungslos?
Dr. Peter Plichta: Man war oberflächlich, man ging den Dingen nicht auf den Grund, man war im höchsten Maße unvorsichtig, weil man die Komponente natürlich hätte testen können. Wenn man sorgfältig vorgegangen wäre, hätte man zumindest eine Menschenäffin einen Fötus austragen lassen. Und die hätte dann während der ganzen Zeit mit den Mittel gefüttert werden müssen. Ein solcher Versuch hätte laut »Spiegel« 20.000 DM gekostet. Aber da der Chef der Firma diesen Versuch persönlich gestrichen hat, handelt es sich natürlich mindestens um grobe Fahrlässigkeit, wenn nicht gar um Vorsatz. Es besteht nämlich sogar der Verdacht, daß man Angst davor hatte, daß die Sache mit dem Fötus der Menschenäffin schiefläuft, weil ein einziges mißgebildetes Affenkind die ersehnte Geldquelle zum Versiegen gebracht hätte.
Hier irrt Dr. Plichta:
·
· Contergan
wurde an duzenden von Tierarten, einschließlich Affen, »erfolglos«
»ausprobiert«, siehe Quellensammlung
Contergan
·
· Tierversuche
erlauben keine wissenschaftliche Vorhersage von Wirkung, Wirksamkeit und
Unschädlichkeit für den Menschen. Das hat auch Nobelpreisträger Ernst Boris
Chaim beim Contergan-Prozeß unter Eid ausgesagt. Ob ein Versuchsergebnis auf
Menschen übertragbar ist, bleibt solange unbekannt, bis der Versuch an Menschen
wiederholt wurde. Wir verweisen hierzu auf unsere Methodenkritik am
Tierversuch!
Hans-Joachim Ehlers: Heißt das, weil die Firma Grünenthal 20.000 DM sparen wollte, mußten zigtausend Menschen schlimmstes Leid erfahren, mußten unschuldige Menschen sterben?
Dr. Peter Plichta: In letzter Konsequenz ist es so.
Hans-Joachim Ehlers: Da spart man also im vergleich zu den Milliarden Umsätzten der Pharma-Industrie lumpige 20.000 DM und macht stattdessen Menschenversuche. Auf der anderen Seite behauptet die Pharma-Lobby in der Öffentlichkeit frech, um ein neues Medikament zu entwickeln, müßten Millionen DM für Forschung investiert werden. Da werden wir doch alle für dumm verkauft.
Dr. Peter Plichta: Das ist leider richtig.
Hans-Joachim Ehlers: Dagegen wird das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, dieser BGA-Nachfolger, nur dann sehr kritisch tätig, wenn es um pflanzliche Mittel wie Huflattich geht. Weil eine drogensüchtige Frau, die im Sterben lag, Huflattich Tee getrunken hatte, bevor sie starb, wurde Huflattich aus dem Verkehr gezogen. Wenn schwerste Erkrankungen und Todesfälle nachweislich nach der Einnahme von chemotherapeutischen Mitteln auftreten, zögert die gleiche Behörde in der Regel bis kurz vor dem Eingreifen der Staatsanwaltschaft. Der Staat könnte viel Steuern sparen, wenn er diese Zulassungsstelle privatisierte und gleich ganz der Chemischen Industrie überließe. Damit wäre auch die ständige Irreführung der Öffentlichkeit beendet, die darin besteht, daß sich diese Stelle als »unabhängig« und »wissenschaftlich« bezeichnet. Aber zurück zu Thalidomid. Jetzt wird neuerdings behauptet, daß Contergan wieder in den Handel kommen soll oder zum Teil auch schon ist, und daß man diese schädigende Komponente abgetrennt hat.
Dr. Peter Plichta: Heute, nachdem man die Spiegelformen getrennt hat, ist man kaum noch daran interessiert, das psychotrope Mittel, also das Schlafmittel, in den Handel zu bringen, sondern natürlich eher die Substanz, die auf die Zellteilung einwirkt, weil nämlich Leprabakterien sich leicht einer behandelnden Chemotherapie entziehen und dieses Mittel recht gut wirkt.
Hans-Joachim Ehlers: Als Zellgift.
Dr. Peter Plichta: Als Zellgift ja. Aber jetzt bahnt sich eine neue Katastrophe an. Das sozusagen rein giftige Contergan wird inzwischen in verschiedenen Ländern bei Leprakranken eingesetzt. Leprakranken Frauen wird das Mittel natürlich auch verschrieben. Sie können aber die Beipackzettel nicht lesen, werden schwanger und nehmen das Mittel trotzdem weiter. So gibt es jetzt zum Beispiel in Brasilien schon wieder eine Unzahl von Kindern mit fürchterlichen Mißbildungen. Die Medien begreifen natürlich alle diese Zusammenhänge nicht, und so pflanzt sich der Wirrwarr um Contergan fort.
Hans-Joachim Ehlers: Skrupelloser geht es eigentlich kaum noch. An diesem Beispiel wird der ganze Zynismus der heutigen Medizin deutlich, soweit sie von der Chemischen Industrie abhängig ist: Ein diffus wirkendes Gift, das wahllos menschliche Zellen vernichtet, wird mit hohem Profit auf dem Markt verkauft, egal wie fürchterlich die Nebenwirkungen sind. Das ganze nennt sich dann Wissenschaft. Dagegen ist die Drogenmafia noch eine wirklich ehrenwerte Gesellschaft, denn sie behauptet wenigstens nicht, wissenschaftlich zu arbeiten.
Dr. Peter Plichta: Sie haben recht, der Contergan-Skandal zeigt auch, mit welcher Brutalität die darin involvierten Personen handeln und wie hier im nachhinein die Drähte gespannt und gezogen wurden, um sich aus der Verantwortung zu schleichen. Ich habe in »Das Primzahlkreuz« Band I den Contergan-Fall noch als reinen Fall der Machtgier eines chemischen Industriellen dargestellt. Da Konrad Henkel, was aktenkundig beim Düsseldorfer Gericht vorliegt, schon einmal versucht hat, mich für immer zu beseitigen, mußte ich vorsichtig vorgehen. Man hat natürlich nicht damit gerechnet, daß ich jetzt im dritten Band erst richtig auspacke und die Sache so erzähle, wie sie wirklich stattgefunden hat. Was die jetzt machen, weiß ich nicht. Unsere Staatsanwaltschaft in Düsseldorf jedenfalls, die müßte von Grund auf und systematisch erneuert werden.
Hans-Joachim Ehlers: Ist die NRW-Struktur immer noch die gleiche?
Dr. Peter Plichta: Ich hatte ja schon erwähnt, daß der ehemalige »Hilfsanwalt« Knipfer zur Belohnung für das Hintergehen seines Chefs Dr. Haverts in Düsseldorf Leitender Oberstaatsanwalt geworden ist. Die großen Strafverfolgungsbehörden in NRW sind von Henkel bestens geschmiert. Schon in der Parteispendenaffäre hat 1981 die Bonner Staatsanwaltschaft Konrad Henkel nicht angeklagt, obwohl andere Industrielle vor Gericht gezerrt worden sind für wahrlich geringere Sümmlein. Dr. Henkel bekam lediglich einen Strafbefehl über 3,5 Mio. DM - den höchsten jemals in Deutschland ausgestellten Strafbefehl - und wäre damit vorbestraft gewesen. Jetzt hatte er jedoch die Chance, mit Hilfe seines Einflusses am Amtsgericht, Landgericht und Oberlandesgericht Düsseldorf die 10jährige Verjährungsvariante - wie im Contergan-Fall - zu spielen. Einzelne Richter und Staatsanwälte in Düsseldorf mögen unbestechlich sein und in hohem Maße für ihren Beruf befähigt, aber das System ist so korrupt, daß man es als kriminelle Vereinigung bezeichnen muß, wenn man Mut hat.
Hans-Joachim Ehlers: Das ist richtig. Das sehe ich auch so. Die Frage ist nur, wer geht dagegen vor?
Dr. Peter Plichta: Dazu wäre an sich die Presse da, doch die Abhängigkeit der Massenmedien, besonders von der Chemischen Industrie, läßt da wenig hoffen. Deshalb glauben auch die eigentlichen Machthaber in Düsseldorf, sie können das alles aussitzen...
Hans-Joachim Ehlers: Ja. Das wäre die einzige Möglichkeit, die Öffentlichkeit. Doch die Presse müßte nicht nur in Düsseldorf, sondern auch in Brüssel hineinleuchten. Denn auch dort haben sich längst die Henkels und Co. in Lobby-Gruppen manifestiert, die inzwischen die EU-Politik bestimmen. Sie machen dort die Gesetzentwürfe, die sie dann der Kommission übergeben, die sie dann fast wörtlich in die EU-Vorlagen übernimmt. Und wenn Sie dann die Europol dazu sehen, was an Bio-Ethik im Moment über den Europarat noch angeschoben wird, wenn man das alles zusammen sieht, dann wird's einem dabei angst und bange vor diesem Europa. Das ist das Europa der Konzerne.
Dr. Peter Plichta: Ja, und das ist auch meine Überzeugung, daß man ein Europa letztenendes überhaupt nicht auf Konzernstrategie oder gar auf einer einheitlichen Währung und einem unüberschaubaren Heer von Euro-Beamten bzw. Parlamentariern aufbauen kann, sondern nur auf einer gemeinsamen Idee. Hier im Abendland sind zu Beginn der Neuzeit die großen mathematischen Durchbrüche erfolgt, die das technische Zeitalter begründet haben. Gleichzeitig haben wir mit unserer Technik alle anderen Kulturen dieser Erde verseucht. Hier in Europa müssen neue Ideen entwickelt werden, wie die weltweite Krise überwunden werden kann. Wir müssen aufhören, politische Sonntagsreden zu halten, und mit dem Denken beginnen. Diese Einsicht ist der erste Schritt in die richtige Richtung. Ich will jedoch noch einmal ganz kurz auf den Contergan-Fall zurückkommen. 10.000 Menschen sind verkrüppelt und betrogen worden, und die beiden Ehrenbürger von Düsseldorf, Dr. Dr. hc. Konrad Henkel und der ehemalige Bundespräsident Walter Scheel haben sich mit Ehren überhäufen lassen und Golf gepielt. In NRW wurde ein korrupter Strafverteidiger kurzerhand zum Justizminister gemacht, damit der Strafprozeß verschleppt werden konnte und am Ende der Staat die Zeche zahlte. Mit Wissen darum muß auch über die Rolle von Willy Brandt diskutiert werden. Er, der zweimal die Wahl verloren und öffentlich verkündigt hatte, nie wieder anzutreten, wurde durch Drahtzieherei zum Außenminister gemacht. So konnte er sich profilieren und doch noch Bundeskanzler werden. Denn damit die Legislative eingreift und der Staat zum Zahlmeister für die Industrie wurde, brauchten Walter Scheel und die Drahtzieher im Hintergrund den Bundeskanzler. Willy Brandt ist vielleicht nicht aktiv an der Vertuschung des Contergan-Falls beteiligt gewesen, aber er hat mit Sicherheit gewußt, was da in Düsseldorf für eine dreckige Brühe gekocht worden ist. Nach der Erfüllung seines Zwecks ist er ja auch sehr schnell ausgetauscht worden. Wer noch immer an das ordnungsgemäßige Funktionieren der deutschen Politik glaubt, soll sich einmal mit der Rolle der FDP auseinandersetzen: In der Öffentlichkeit hielt man die FDP für eine wankelmütige Umfall-Partei, in Wirklichkeit hatte jeder Koalitionswechsel einen korrupten Hintermann, den Henkel-Mann Walter Scheel.
Hans-Joachim Ehlers: Ja, ich finde, nachdem jetzt durch Ihr Buch, die wirklichen Hintergründe der Vertuschung, nämlich ein Justizskandal, aufgedeckt wurden, müßte eigentlich erneut Anklage erhoben werden.
Dr. Peter Plichta: Also für die Grünenthal ist die Sache natürlich verjährt. Da aber feststeht, daß der Henkel-Konzern von Anfang an zusammen mit den Spitzen der Landesregierung Nordrhein-Westfalen in den Prozeß eingegriffen hat, ist der ganze Prozeß Betrug. Und Prozeßbetrug kann eben nicht verjähren.
Hans-Joachim Ehlers: Stichwort Prozeßbetrug, ja, das ist das schlimmste, was es gibt.
Dr. Peter Plichta: Das heißt, man muß im Prinzip die Bundesanwaltschaft benachrichtigen und sagen: in Düsseldorf ist ein Rattennest, entweder wir lassen das, dann machen wir Deutschland zu, dann können wir alle nach Südamerika auswandern oder aber es wird in irgendeiner Weise von einer anderen Staatsanwaltschaft, von mir aus der Bundesanwaltschaft, dafür gesorgt, daß die Vorwürfe, die hier jetzt öffentlich vorliegen, untersucht werden. Das darf die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft auf gar keinen Fall selbst bearbeiten.
Hans-Joachim Ehlers: Ist klar.
Dr. Peter Plichta: Wenn wir ein Rechtsstaat sind, muß der Fall, weil es Prozeßbetrug war, wieder aufgerollt werden, und diesmal müssen diejenigen, die diesen Prozeßbetrug aktiv betrieben haben, vor Gericht gestellt werden. Und das ist der Henkel-Konzern und so gesehen wartet man in Düsseldorf natürlich darauf, daß der alte Schurke das Zeitliche segnet. Dann wären sie den, der alles verbrochen hat, los.
Hans-Joachim Ehlers: Ja, gut, aber das klingt dann so nach Befehlsgewalt. Da waren aber noch genügend Lakeien dabei, die aktiv mitgearbeitet haben, und die dann auch noch leben.
Dr. Peter Plichta: Richtig. Aber mir fällt noch etwas ein, das wichtig ist. Ich habe ja, wie Sie gelesen haben, einen Film über den Contergan-Fall gesehen und in dem Zusammenhang das Leben eines Menschen, eines Contergan-Opfers, das völlig ohne Arme und Beine lebt und nur am Unterleib so eine Art Schwimmflosse besitzt und oben praktisch nur einen Finger. Dieser junge Mann, dessen Schicksal der Film weitgehend erzählt, studierte Jura in Köln. Der hat so haarsträubende Dinge erzählt, daß ich mich mit ihm in Verbindung gesetzt habe, ich wollte es einfach mal sehen, wie man unter solchen Bedingungen Jura studiert. Er kroch halt auf so einer kleinen Karre mit Rädern und mit der Schwimmflosse bewegte er sich. Weil er wegen seiner Behinderung zuviele Semester benötigte, wollten sie ihn auch noch exmatrikulieren. Ich nahm zu dieser Zeit ja noch wie jeder andere in der Bevölkerung an, daß die Contergan-Opfer irgendwie mit dem vielen Geld, den 250 Millionen, entschädigt worden waren. Und da ist dann in mir der Zorn, der wirkliche Zorn ausgebrochen, als ich erfuhr, was die wirklich bekommen haben. Es gab keine klare Regelungen, sondern die Geschädigten sind in einem ungeheuren Maße, das weiß die Bevölkerung nicht, gegeneinander aufgehetzt worden. Da gab es verschiedene Organisationen und alle wollten an das Geld ran, so daß das ganze Geld durch Prozessieren rauf und runter durch die Instanzen, verloren ging. Die Opfer haben nicht einmal einen Pfennig Entschädigung bekommen. Das einzige, was sie bekommen haben, waren 850 DM, das war alles.
Hans-Joachim Ehlers: Einmalig oder wie?
Dr. Peter Plichta: Nein, im Monat, also für den, der den Höchstschaden hat. Also dieser junge Mann, der da so schlimm geschädigt ist, bekommt 850 DM, seine Wohnung wird vom Sozialamt bezahlt, und dann kriegt er noch Sozialhilfe. Er könnte ohne finanzielle Sorgen leben, wenn das viele Geld so verteilt worden wäre, daß es bei denen, die das Leid erlitten, auch angekommen wäre. So war es aber nicht. Man wollte die Verwirrung und den Streit bis ins allerletzte haben, damit über das eigentliche, den Zynismus, den Chemie-Skandal mit anschliessendem Justiz-Skandal nicht wieder geredet wurde.
Hans-Joachim Ehlers: Diese schlimme Rechnung scheint auch fast aufgegangen zu sein. Ich danke Ihnen Herr Dr. Plichta, auch im Namen unserer Leserinnen und Leser für Ihren Mut und aufrechten Gang und hoffe mit Ihnen, daß auch in Düsseldorf letztlich noch Gerechtigkeit einzieht.
Er liegt mehr als 40 Jahre zurück, der größte, bisher bekannte
Pharma-Skandal.
Und doch ist er so aktuell wie nie zuvor. Durch die Bücher Dr. Peter Plichtas, der darin u.a. Blicke hinter die Kulissen der Chemie-Giganten vermittelt, wird die ganze Skrupellosigkeit klar, mit der in der Chemie- und Pharma-Industrie zu Werke gegangen wird.
Da werden chemische Substanzen zusammengemixt, die aus Gründen der Sparsamkeit nur halb kontrolliert auf den Markt geworfen werden. Da werden Menschenversuche an Hunderttausenden gemacht, ohne daß die gutgläubigen Opfer davon etwas ahnen, denn ihnen hat man via Werbung und Propaganda großkotzig hervorragende Wirkung versprochen und die absolute Harmlosigkeit des Medikaments versichert, »wissenschaftlich anerkannt« versteht sich.
Und wenn sich dann herausstellt, daß nicht nur alles gelogen war, sondern daß die chemische Substanz, die in irgend einem Labor entwickelt wurde, tödliche und verkrüppelnde Wirkung hat, dann versucht man zuerst, die Kritiker mundtod zu machen und dann mit Hilfe der Politik und der Justiz sich aus der Verantwortung zu stehlen. Die Entschädigung der Opfer überläßt man weitgehend dem Staat.
Die Aktualität: Mit der gleichen eiskalten Profitgier, mit der man Contergan auf den Markt warf, ohne es ausreichend auf schädigende Wirkungen zu prüfen, wird heute die Gentechnik bei Menschen, Tieren und Pflanzen durchgesetzt. Dabei hat man nicht die geringste Ahnung von den möglicherweise verheerenden Folgen der Eingriffe, die man ebenso skrupel- wie bedenkenlos in höchst komplexen, natürlichen Systemen vornimmt. Eingriffe und Techniken, die so überflüssig sind wie ein Kropf. Und wieder steht ein Heer höchst verantwortungsloser sogenannter Wissenschaftler bereit, auf vage Vermutungen hin Experimente zu machen, die nur einen Zweck haben, die Milliarden-Gewinne der Chemischen Industrie weiter zu erhöhen. Denn es geht den Chemie-Multis nicht um Gesundheit, bessere Ernährung usw., sondern darum, mit dem Einsatz verkrüppelter Gene ganze Branchen und vor allem die Nahrungskette via Patent in den Griff zu bekommen. Und wenn es unabhängige Journalisten wagen, zum Beispiel Zweifel am dem rBST-Rinderhormon des Chemie-Giganten Monsanto zu äußern, dann werden die TVSender, die solche Journalisten beschäftigen, solange massivst bedroht, bis sie die Journalisten feuern (siehe dazu »Maßnahmen zur Erziehung von Reportern, Redakteuren und Herausgebern« in dieser Ausgabe).
Am 1. Oktober 1957 kam Thalidomid unter der
Handelsbezeichnung Contergan auf den Markt, nach Zulassung durch das damalige
Bundesgesundheitsamt. Mit massiver Werbung, vor allem bei den damals 50 000
zugelassenen Ärzten, wurde der Absatz von Contergan angekurbelt. Schon wenige
Monate später wurde Contergan in 60 Regionen der Welt vertrieben.
Der Text einer Anzeige für »Contergan forte«:
»Ein Augenblick voll natürlicher Harmonie läßt uns
wünschen, daß die Sekunde sich dehne. Doch zumeist bleibt es Augenblick und
flüchtiger Wunsch, denn die Unruhe, dem Geiste einst dienstbar, beherrscht uns
und treibt uns umher. Ruhe und Schlaf zu fördern vermag Contergan. Dieses
gefahrlose Medikament belastet den Leber-Stoffwechsel nicht, beeinflußt weder
den Blutdruck noch den Kreislauf und wird auch von empfindlichen Patienten gut
vertragen. Schlaf und Ruhe: Contergan, Contergan forte.«
Das Medikament, das da so lyrisch beschrieben und als »gefahrlos« bezeichnet wird, nehmen daraufhin Millionen gutgläubiger Erwachsener und Kinder bei Schlafstörungen, Husten, Migräne, Nervosität, Neurosen, psychischen Traumata, Angstzuständen usw.
Die Nebenwirkungen waren fürchterlich: Schwere Nervenschädigungen, Totgeburten, embryonale Fehlbildungen an Extremitäten, Sinnesorganen und inneren Organen.
Schon kurz nach der Einführung von Contergan gab es erste Berichte über schlimme Nebenwirkungen. Sie wurden sowohl von der Konzernleitung als auch vom BGA ignoriert.
Wieviel Leid hätte vermieden werden können, hätte man bei Grünenthal verantwortlich auf die Berichte der furchtbaren Nebenwirkungen sofort reagiert. Aber damals wie heute überlagert eine außer Kontrolle geratene Profitgier der Chemischen Industrie auch die letzte Spur von Menschlichkeit.
Das einzige, was man tat, man änderte den Beipackzettel, auf dem man jetzt unter Nebenwirkungen Nervenschädigungen aufführte. Eine Warnung an schwangere Frauen, die im Vertrauen auf die in der Werbung versicherte Harmlosigkeit Contergan besonders bevorzugten, unterblieb.
1961 wurde Thalidomid rezeptpflichtig.
Im gleichen Jahr wandte sich der Arzt Dr. Lenz aus Hamburg mit seinen Beobachtungen über die verheerenden Nebenwirkungen von Contergan an die Öffentlichkeit. Kurze Zeit später wurde er von leitenden Herren der Firma Grünenthal mit Schadenersatzforderungen bedroht, er betreibe »Rufmord« an einem Medikament. Doch Dr. Lenz hatte den Bann gebrochen.
Nachdem sich die Meldungen über Contergan-Schäden häuften, erwog das NRW-Innenministerium den Verkauf von Contergan zu verbieten. Grünenthal drohte für diesen Fall mit Schadenersatzforderungen in Millionenhöhe. Erst am 27.11.1961 wurde der Vertrieb von Contergan in der damaligen BRD eingestellt.
Ende Dezember 1961 wurde unter dem Aktenzeichen Js 987/61 bei der Staatsanwaltschaft eine Ermittlungsakte angelegt.
Erst sechs Jahre später, am 18. Januar 1968, begann vor der Großen Strafkammer des Landgerichts Aachen der Prozeß, der bis zum 18. Dezember 1970, ein Jahr vor der Verjährung, verschleppt wurde.
Der Prozeß wurde »wegen Geringfügigkeit« eingestellt.
Mit der drohenden Verjährung wurden die Anspruchsberechtigten zum Vergleich genötigt.
Es gab kein Urteil und somit keine Rechtssicherheit.
© 1999 by EHLERS
Verlag, Mühlweg 2 C, D-82054 Sauerlach HTML-Implementation, Kommentare und Links: |
Peter Plichta, geboren
1939 in Remscheid, studierte Chemie an der Universität Köln (Diplom 1966).
Anschliessend bis 1970 Studium der Fächer Kernchemie und Jura.
Promotion 1970 in anorganischer Chemie über Verbindungen von Silizium- und Germaniumwasserstoffen, deren Darstellung bis dahin als unmöglich galt.
Bereits kurz nach der Promotion erfolgreiche Darstellung der höheren Silane (Penta- bis Dekasilan), den "Dieselölen" des Siliziums.
Es folgten zahlreiche Veröffentlichungen und Patente.
Von 1971 bis 1974 arbeitete er in der chemischen Industrie.
Anschließend Studium der Fächer Pharmazie und Biochemie in Marburg. 1977 Approbation als Apotheker.
Nach Gründung einer Apotheke widmete er sich als Privatgelehrter dem Studium der Physik und Mathematik.
Vom 40. Lebensjahr an bis 1991 arbeitete er gezielt an seinem 1992 veröffentlichten Buch "Das Primzahlkreuz" Band I und Band II. Band III erschien 1998.
Die zahlentheoretischen Arbeiten in Band II "Das Unendliche" wurden seit 1988 von dem Mathematiker Dr. Michael Felten wissenschaftlich begleitet.
1993 erhielt Dr. Plichta ein Patent für eine wiederverwendbare diskusförmige Raumfähre mit 3 verschiedenen chemischen Antrieben. Später kam ein Patent für einen siliziumhaltigen Treibstoff, der auch den Stickstoffanteil der Atmosphäre zu Siliziumnitrid verbrennt, dazu.
Zwischen 1994 und 1997 erfolgte ein Durchbruch auf dem Gebiet der unendlichen Reihen und ihrer Kodierung durch die Ordnung der Primzahlen. So ließen sich bspw. die mathematischen Konstanten e = 2,71 ... und π = 3,14 ... als Naturkonstanten, die ausserhalb der menschlichen Vorstellung ewig existieren, begründen und auf Primzahlen und auf das in der Natur verankerte Dezimalsystem zurückführen.
1995 erschien das Buch "Gottes Geheime Formel" in Deutschland. Englische und japanische Versionen folgten 1997.
Dr. Peter Plichta wohnt in Düsseldorf und hat eine 26-jährige Tochter.
Homepage von Dr. Peter Plichta, e-mail an Dr. Peter Plichta
Die Biographie ist Plichtas Homepage entnommen.
siehe auch: